Wie die eigene Lebenserwartung das Sparverhalten beeinflusst
Wer glaubt, nicht sehr alt zu werden, spart weniger als jemand, der sich ein hohes Alter zubilligt. Dabei sind die meisten Pessimisten gesundheitlich nicht schlechter dran, ihnen fehlt nur eine realistische Vorstellung von der Lebenserwartung.
Die Altersvorsorge ist eine komplexe Sache. Nicht nur, dass zum Sparbeginn die Höhe des künftigen Rentenniveaus und damit die Vorsorgelücke noch nicht feststehen. Auch die Dauer des Ruhestands ist ungewiss. Nach Renteneintritt warten für viele noch 20, 30 oder gar 40 Jahre Lebenszeit. Wie viel genau, zeigt sich – naturgemäß – erst hinterher.
Wie viele Jahre es ungefähr werden könnten, damit sollten sich die Menschen allerdings schon vorab befassen. Eine unterschätzte Lebenserwartung könnte nicht nur dazu führen, dass die Ersparnisse im Alter nicht ausreichen. Sie kann Menschen sogar daran hindern, sich überhaupt mit ihrer Altersvorsorge zu befassen – nach dem Motto: Das brauche ich eh nicht. „Wer denkt, nicht sehr alt zu werden, spart sich das Sparen möglicherweise gleich ganz“, sagt Moritz Schumann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des GDV.
Wer glaubt, lange zu leben, sorgt mehr vor
Diese Vermutung bestätigt eine aktuelle Auswertung des GDV, die auf Basis einer europaweiten Befragung von Insurance Europe unter gut 15.700 Personen in 15 Ländern entstanden ist. Menschen, die ihre Lebenserwartung niedriger ansetzen, als sie statistisch beträgt, sparen demnach weniger fürs Alter als Personen, die von einem eher längeren Leben ausgehen. Im Schnitt besitzen die „Unterschätzer“ europaweit 0,68 Vorsorgeprodukte, die „Überschätzer“ hingegen 0,79 Produkte. Für Deutschland kommt die Studie zu einem noch größeren Gefälle: Die „Unterschätzer“ besitzen 0,95 Produkte, verglichen mit 1,14 bei den „Überschätzern“.
Die Unterschiede im Sparverhalten werden noch deutlicher, wenn man die Anteile der Vorsorgenden in den beiden Gruppen vergleicht. Bei den „Unterschätzern“ sind es europaweit rund 55 Prozent; bei den „Überschätzern“ knapp 63 Prozent. In Deutschland ist der Unterschied sogar noch etwas größer: 67 Prozent der "Unterschätzer" sparen; bei den "Überschätzen" sind es 77 Prozent – immerhin rund zehn Prozentpunkte mehr.
Viele Menschen unterschätzen ihre Lebenserwartung
Nun mag es Menschen geben, die aufgrund einer schweren Krankheit realistischerweise mit keinem allzu langen Leben rechnen. Die meisten liegen allerdings daneben, weil ihnen schlichtweg das Gespür – oder besser: das Wissen – für eine realistische Lebensdauer fehlt. Sie orientieren sich an den Lebensdaten ihrer Großeltern oder Eltern und blenden damit aus, dass sich die Lebenserwartung von Generation zu Generation verbessert – beispielsweise aufgrund des medizinischen Fortschritts. Die Folge: Je nach Umfrage unterschätzen die Deutschen ihre Lebenserwartung im Durchschnitt um fünf bis sieben Jahre.
Solche Fehleinschätzungen berühren nicht nur die Frage, ob die Menschen etwas für das Alter zurücklegen, sondern auch wie sie vorsorgen. Wer glaubt, nicht sehr alt zu werden, ist beispielsweise weniger geneigt, das finanzielle „Risiko“ eines langen Lebens abzusichern, wie es mit einer Rentenversicherung möglich wäre. Während von den „Unterschätzern” rund 37 Prozent bereit sind, für einen solchen Langlebigkeitsschutz zu bezahlen, sind es bei den übrigen Befragten 41 Prozent – und damit spürbar mehr.
Lebenserwartung beeinflusst auch Bereitschaft zur Verrentung
„Die Unterschätzung der eigenen Lebenserwartung hat Einfluss auf die Entscheidung gegen eine lebenslange Rente“, bestätigt Andreas Richter, Leiter des Instituts für Risikomanagement und Versicherung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In einer für den GDV erstellten Studie hat er sich gemeinsam mit Co-Autoren mit den Gründen beschäftigt, warum sich Menschen gegen eine Verrentung ihres Vermögens entscheiden. Neben dem Wunsch, einen Teil des Ersparten an die Hinterbliebenen vererben zu wollen, was mit einer Rentenversicherung nur eingeschränkt möglich ist, spielt auch die weit verbreitete Unwissenheit über die Lebensdauer eine große Rolle. Richter hält deshalb mehr Aufklärung für nötig: „Ein höheres Niveau an finanzieller Bildung könnte zu einer gesteigerten Wertschätzung lebenslanger Renten führen.“
Diese Einschätzung teilt auch Schumann vom GDV: „Die Aufklärung über die Lebenserwartung ist ein wichtiger Teil der Finanzbildung.“ Laut Schumann könnte der Staat mit einem kleinen Kniff viel für die Aufklärung der Bevölkerung tun: „Die digitale Rentenübersicht soll künftig die zentrale Infoplattform über alle Alterseinkünfte sein. Es wäre sinnvoll, wenn dort auch über die statistische Lebenserwartung informiert würde“, sagt der stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführer.
Ein realistischeres Bild von der eigenen Lebenserwartung allein garantiert aber noch keine stärkere Verbreitung von Leibrenten. Nötig sei auch ein anderes „Framing“, wie Wissenschaftler Richter betont. Damit meint er die Art, wie Rentenversicherungen vermarktet und entsprechend wahrgenommen werden. Menschen betrachten sie oft als reines Anlageprodukt und schauen eher darauf, was ihnen durch einen frühen Tod entgehen könnte. Für Richter ist das jedoch der falsche Ansatz: „Eine Rente ist in erster Linie die Versicherung eines lebenslangen Konsumbedarfs. Und das sollte auch stärker betont werden.“