„Die Riester-Rente ist reformfähig“
Wie geht es weiter mit der Altersvorsorge in Deutschland? Im Interview mit dem „Versicherungsmagazin“ spricht GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen über mögliche Reformen - und welche Rolle die Versicherungswirtschaft dabei spielen könnte.
Wir dokumentieren das Gespräch, das am 17. Februar im „Versicherungsmagazin“ veröffentlicht wurde.
Versicherungsmagazin: Bisher haben die regierenden Ampelparteien zur gesetzlichen Rente noch keine nachhaltige Lösung präsentiert. Rentenkürzungen, Beitragserhöhungen und eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters soll es nicht geben. Einzig der Nachholfaktor in der Rentenberechnung soll wieder aktiviert werden. Wird das reichen, wenn die so genannten Babyboomer in den nächsten Jahren in Rente gehen?
Jörg Asmussen: Die Reaktivierung des Nachholfaktors ist richtig, damit die Generationengerechtigkeit ein Stück wiederhergestellt wird. Das wird aber nicht ausreichen. Wenn das Rentenniveau und das Renteneintrittsalter unabhängig von der demografischen Entwicklung eingefroren werden soll, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, dann bleiben in der 1. Säule nur zwei Stellschrauben: ein Anstieg der Beiträge und ein Anstieg des Steuerzuschusses, das sollte man offen sagen. Die 1. Säule ist für die meisten Menschen das Fundament der Alterssicherung, aber sie allein kann die zukünftige Last nicht tragen. An einer Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge führt kein Weg vorbei.
Versicherungsmagazin: Wie beurteilen Sie die vorgesehene Anschub-Finanzierung von zehn Milliarden Euro für die so genannte Aktien-Rente, die über einen Staatsfonds am Kapitalmarkt angelegt werden soll?
Jörg Asmussen: Ich verstehe was damit gewollt ist, und jede Entlastung künftiger Generationen ist willkommen. Daher ist es grundsätzlich richtig, zur Finanzierung der gesetzlichen Rente neben laufenden Beiträgen und Steuern auch auf den Kapitalmarkt zu setzen. Allerdings kann das, was als Aktienrente geplant war, nur ein Baustein für eine gute Altersversorgung sein, denn es kommt zu spät und ist zu klein.
Versicherungsmagazin: Welche Rolle wird hierbei die Versicherungswirtschaft spielen?
Jörg Asmussen: Im Unterschied zur ursprünglichen Idee der Aktienrente soll es hier keine individuelle Kapitalbildung mit eigenen Rechtsansprüchen der Kunden geben. Der Begriff Aktienrente taucht im Koalitionsvertrag deshalb auch nicht mehr auf. Versicherungsverträge kommen für eine kollektive Finanzreserve der gesetzlichen Rente wohl eher nicht in Betracht.
Versicherungsmagazin: Außer einem Bestandsschutz für laufende Riester-Verträge gibt es dazu im Koalitionsvertrag keine Aussagen. Wie wird es und wie sollte es Ihrer Meinung nach mit der Riester-Rente weitergehen, die wegen der 100-prozentigen Beitragsgarantie nur noch von wenigen Anbietern offeriert wird?
Jörg Asmussen: Wir verstehen die Bestandsgarantie als die selbstverständliche Zusicherung, dass sich unabhängig vom Ausgang der Diskussion um eine grundlegende Reform der privaten Vorsorge die heutigen Riester-Kunden keine Sorgen machen müssen. Ihre Einzahlungen werden auf jeden Fall weiter gefördert. Wir gehen aber davon aus, dass das auch für künftige Verträge so gilt. Denn nur so lassen sich die weiteren Aussagen des Koalitionsvertrages deuten, dass Geringverdiener besser gefördert werden sollen. Die Koalition will auch die Förderberechtigung auf alle Erwerbstätigen ausweiten. Die Flexibilisierung der 100 Prozent-Beitragserhaltungsgarantie ist allerdings der Schlüssel dafür, wieder zu einem breiten und wettbewerbsintensiven Anbieterfeld zurückzukommen. Ohne gesetzliche Änderungen erwarten wir für 2022 einen spürbaren Rückgang beim Produktangebot.
Versicherungsmagazin: Ist die Riester-Rente noch zu retten angesichts ihres sehr schlechten Images?
Jörg Asmussen: Die Riester-Rente muss reformiert werden, sie ist aber reformfähig. In den letzten acht Jahren ist praktisch nichts passiert. Unsere Vorschläge für eine grundlegende Reform liegen auf dem Tisch. Die Zulagenstelle geht voran und ändert bereits das Verfahren, so dass die fast eine Million Zulagenrückbuchungen pro Jahr zu einem großen Teil beseitigt werden. Das ist ein richtiger Schritt, weitere müssen folgen. Ich denke, wir brauchen am Ende auch einen anderen Namen.
Versicherungsmagazin: Die meisten der rund 80 Lebensversicherer in Deutschland bieten im Neugeschäft keine klassischen Policen mit lebenslangem Garantiezins mehr an. Nach der Rechnungszinsabsenkung auf 0,25 Prozent dürften es noch weniger werden. Ist die klassische Lebensversicherung noch zu retten?
Jörg Asmussen: Die klassische Lebensversicherung gibt es immer weniger. Es gibt neue Produkte, die im heutigen Kapitalmarktumfeld besser die Sicherheitsbedürfnisse der Kunden mit berechtigten Renditeannahmen verbinden, und die Kunden und die Kundinnen nehmen sie auch an. Diese kapitalmarktorientierten Produkte haben im Neugeschäft mit Rentenversicherungen inzwischen einen Anteil von fast 60 Prozent.
Versicherungsmagazin: Ist mit weiteren Verkäufen von Altbeständen der Lebensversicherer (Run-offs) zu rechnen? Wenn ja, wie sehen Sie das?
Jörg Asmussen: Ich als ehemaliger Investmentbanker weiß, dass viele Lebensversicherer schon eine umfassende Nutzen-Kosten-Analyse gemacht haben. Es sind aber komplexe Transaktionen, bei denen auch Aspekte wie die Reputation eine Rolle spielen. Wichtig für die Versicherte und den Versicherten ist, dass die Lebensversicherer ohne Abstriche zu ihren Verpflichtungen stehen.
Versicherungsmagazin: Ist das deutsche Modell der privaten Altersvorsorge zu kompliziert?
Jörg Asmussen: Wenn man ein Modell der Altersvorsorge am Reißbrett neu konstruieren könnte, würde man es sicher anders gestalten, aber das Modell ist, wie in allen Ländern, über Jahrzehnte gewachsen. Gewünschte Einzellfallgerechtigkeit erzeugt Komplexität und viel Verwaltung. Gerade was die Förderung in der Altersvorsorge betrifft, braucht es unbedingt weniger Bürokratie und mehr voll digitale Prozesse: Die Zulagenstelle benötigt heute allein zur Verwaltung des Riester-Verfahren rund 1.000 Beschäftigte.
Versicherungsmagazin: Sie haben sich für ein günstiges Standardprodukt in der geförderten staatlichen Altersvorsorge ausgesprochen. Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute hat das stark kritisiert. Ein Vertrieb ohne Beratung widerspreche dem Verbraucherschutzgedanken. Dass der GDV die „wichtige Beratungsleistung“ der Vermittler zur Disposition stellt, ist für BVK-Präsident Michael Heinz ein „inakzeptabler Dammbruch“. Stehen Versicherer und Vermittler hier auf unterschiedlichen Seiten?
Jörg Asmussen: Ich kommentiere nicht jede einzelne Bemerkung, meine Wahrnehmung war, dass es mehr um den Begriff „digital“ als um „günstig“ ging, auch wenn beides zusammenhängen kann. Aus Sicht der Kundin oder des Kunden wie der Politik ist es oft unklar, was der Unterschied zwischen Versicherungsunternehmen, Makler oder Vermittler ist. Da ist es „die Versicherung“. In dem Sinne sollten wir geschlossen agieren. Es soll wie bei allen Produkten auch beim Vertrieb von Standardprodukten der Altersvorsorge ein Nebeneinander geben: Sowohl ein digitaler Zugang zum Produkt als auch der Zugang zu einer persönlichen Beratung und Betreuung im Sinne einer ganzheitlichen Altersvorsorge soll möglich sein, einschließlich hybrider Mischformen. Am Ende entscheidet der Kunde und die Kundin, was er oder sie nachgefragt, und die Versicherungsunternehmen, was sie anbieten.