Risiken richtig einschätzen? Können viele eher nicht
Sich vor den Risiken des Lebens bestmöglich zu schützen – danach streben die Menschen seit jeher. Dazu müssen Risiken allerdings richtig eingeschätzt und bewertet werden können. Das ist das Kerngeschäft von Versicherern. Seine individuellen Einschätzung von Risiken sollte man dagegen stets hinterfragen – denn eine aktuelle Studie zeigt, dass die Deutschen dabei sehr oft daneben liegen.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie durch einen Autounfall zu Tode kommen? Und wie groß ist die Gefahr eines Leitungswasserschadens? Nach insgesamt 33 Lebensrisiken – vom Hundebiss bis zum Tod durch Blitzschlag – haben Forscher der Technischen Hochschule Köln und der Universität Erlangen-Nürnberg gefragt. Die Ergebnisse zeigen: Mit der Wirklichkeit hat die Einschätzung der Deutschen oft nur wenig zu tun. Während viele zum Beispiel die Gefahr eines tödlichen Terroranschlages oder auf tödlichen Verkehrsunfalls deutlich überschätzen, übersehen sie die vielen kleineren Risiken, die im Alltag auf sie lauern.
Was oft in den Medien vorkommt, ist nicht unbedingt wahrscheinlicher
Besonders überschätzen die Deutschen ausgerechnet jene Risiken, die besonders selten sind. „Dies gilt vor allem für besonders dramatische und darum medienwirksame Ereignisse“, erklärt Prof. Horst Müller-Peters von der TH Köln, der das Projekt gemeinsam mit Prof. Nadine Gatzert von der Universität Erlangen-Nürnberg geleitet hat.
So glaubt beispielsweise jeder vierte Deutsche, dass hierzulande „häufiger“ Menschen durch einen Terroranschlag zu Tode kommen. Gerade jetzt scheint der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz das zu bestätigen. Statistisch gesehen aber liegt die Wahrscheinlichkeit, bei einem Terroranschlag zu sterben, trotzdem nur bei 0,0000049 Prozent. Selbst die Gefahr, von einem Blitz getroffen zu werden, ist um ein vielfaches höher. Aber auch andere tödliche Risiken – wie ein Motorrad-, Auto- oder Fußgängerunfall – halten die Deutschen für viel größer, als sie es wirklich sind. Der Grund dafür ist vor allem, dass Menschen die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses oft über sogenannte „Verfügbarkeitsheuristiken“ beurteilen. Heißt auf Deutsch: Desto öfter ich von einem Vorfall höre oder lese, für umso größer halte ich die Wahrscheinlichkeit eines solchen Vorfalls.
So verschätzen die Deutschen sich bei ihren Lebensrisiken
Die fünf am meisten überschätzten Risiken | Überschätzt um den Faktor … |
Tödlicher Terroranschlag | 30 |
Tödlicher Motorradunfall | 14 |
Tödlicher Geisterfahrerunfall | 6 |
Tödlicher Autounfall | 4 |
Tödlicher Fußgängerunfall | 4 |
Die fünf am meisten unterschätzten Risiken | Unterschätzt um den Faktor … |
Straftatverdacht | > 1.000 |
Wohnungsbrand | 350 |
Leitungswasserschaden | 275 |
Ziviler Rechtsstreit | 200 |
Autopanne | 95 |
Eigene Fähigkeiten werden überschätzt
Dagegen unterschätzen die Deutschen kurioserweise ausgerechnet jene Risiken deutlich, die im Alltag vergleichsweise häufig vorkommen. Das gilt zum Beispiel für das Risiko eines Leitungswasserschadens, einer Autopanne oder eines Verkehrsunfall mit Sachschaden. Aber auch das tatsächliche Risiko eines Einbruchs wird – trotz der medialen Präsenz des Themas – um ein vielfaches zu gering eingeschätzt. Und auch Gesundheitsrisiken werden oft unterschätzt. „Bei solchen Dingen verdrängen die Menschen oft – und vergessen, dass so ein Schicksalsschlag jeden treffen kann“, beobachtet Prof. Müller-Peters. Gleiches gilt auch für eine mögliche Pflegebedürftigkeit im Alter.
Besonders ausgeprägt ist die das Unterschätzungsproblem auch ausgerechnet dann, wenn es um Risiken geht, die der Mensch – zumindest scheinbar – ganz alleine in der Hand hat. Dass sie unter Strafverdacht geraten, den Führerschein verlieren oder alkoholabhängig werden könnten, das glauben die Deutschen offenbar nicht. Selbst in einen zivilen Rechtsstreit verwickelt zu werden, erscheint den meisten äußerst unwahrscheinlich, obwohl dies faktisch häufig vorkommt. „Der Grund dafür ist, dass wir die Möglichkeit überschätzen, unser eigenes Umfeld und unser Leben im Griff zu haben“, so Prof. Müller-Peters. „Der Schutz des positiven Selbstbildes steht hier einer realistischen Risikoeinschätzung im Wege. So etwas passiert vermeintlich nur ‚den Anderen‘.“
Deutsche haben es nicht so mit Zahlen
Tatsächlich ist die Mehrzahl der Deutschen im Umgang mit Zahlen und Wahrscheinlichkeiten nicht sehr geübt. Schon bei relativ einfachen Bildungsfragen schneiden viele Deutsche schlecht ab. So können zum Beispiel nur 37 Prozent richtig sagen, dass eine Milliarde das Produkt von tausend Mal einer Million ist. Und wenn es um Billionen oder um die Wahrscheinlichkeit für ein Pasch beim Würfelspiel geht, liegt kaum jeder fünfte Deutsche richtig.
Sich zu verschätzen, kostet – manchmal das Leben
Risiken schlecht einschätzen zu können, ist kein triviales Problem. Das zeigt zum Beispiel eine Untersuchung des Reiseverhaltens der Amerikaner nach den Anschlägen vom 11. September. Weil viele US-Bürger über Monate hinweg auch über weite Distanzen lieber mit dem Auto fuhren als mit dem Flugzeug zu fliegen, starben in dieser Zeit 1.600 Menschen mehr.
Auch Sicherheitsexperten raten deshalb dazu, dem eigenen Urteil und dem vermeintlich gesunden Menschenverstand ein gesundes Misstrauen entgegenzubringen. „Entscheidungen auf der Grundlage eines gefühlten Risikos sind notwendigerweise suboptimal“, erklärt Tim Stuchtey, Direktor des Brandenburgischen Instituts für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS). Und das gilt eben nicht nur für die großen Lebensrisiken, sondern auch umgekehrt für die scheinbar kleineren Gefahren des Alltags. Wo lohnen sich zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen oder ein Versicherungsschutz, um für den Fall des Falles vorzusorgen? „Um bestmögliche Sicherheit zu schaffen, muss man Risiken, Kosten und Nutzen abwägen“, so Stuchtey. „Die wichtigste Grundlage dafür sind nüchterne Fakten und Statistiken – nicht das Bauchgefühl.“
Weitere Informationen
Unser Linktipp: Machen Sie selbst den Test, wie gut Sie Risiken einschätzen können .
Unser Lesetipp: „Schnelles Denken, langsames Denken.“ Das Buch von Nobelpreisträger Daniel Kahneman, darüber wie wir Risiken einschätzen – und verhängnisvolle Fehlentscheidungen vermeiden können.