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Konjunktur & Märkte

Was 2022 für die Assekuranz bringt

Das neue Jahr hält für die Versicherungswirtschaft viele Veränderungen bereit. Einige werden bereits in der Praxis wirksam, andere zeichnen sich erst auf politischer Ebene ab. Diese elf Themen werden die Assekuranz in nächster Zeit beschäftigen.

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© pexels

Das neue Jahr hält für die Versicherungswirtschaft viele Änderungen bereit.

Höchstrechnungszins in der Lebensversicherung sinkt

Ab 2022 gilt ein neuer Höchstrechnungszins, den Versicherer ihren Kunden bei Neuabschluss einer Versicherung maximal zusagen dürfen. Er wird oft auch als Garantiezins bezeichnet und beträgt nunmehr 0,25 Prozent nach zuvor 0,9 Prozent. Die Absenkung hat vielfältige Auswirkungen auf das Produktangebot und die Nachfrage. Weiter verstärken dürfte sich der Trend zu kapitalmarktnäheren Produkten, die ohne jährlich garantierte Mindestverzinsung auskommen, dafür aber größere Renditechancen bieten. Weil mit dem neuen Rechnungszins der bei Riester-Produkten vorgeschriebene vollständige Kapitalerhalt kaum noch darstellbar ist, wird die Auswahl an Produkten deutlich schrumpfen. Folgen hat die Absenkung des Höchstrechnungszinses auch in der betrieblichen Altersvorsorge: Arbeitgeber werden voraussichtlich kaum noch Beitragszusagen mit Mindestleistung geben können. Generell sinken durch den niedrigeren Höchstrechnungszins die Garantiewerte von neu abgeschlossenen Versicherungsprodukten mit einer klassischen Garantie. Die Garantien in bestehenden Verträgen sind nicht betroffen.

Nachhaltigkeitsberichterstattung wird konkretisiert

Auf EU-Ebene steht 2022 ein wichtiges Regulierungsvorhaben zur Finalisierung an, das für das Gelingen des Green Deal von großer Bedeutung ist: Es geht um die Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung – festgelegt in der Corporate Sustainable Reporting Directive (CSRD). Es ist zu erwarten, dass Frankreich seinen Ratsvorsitz in der ersten Jahreshälfte nutzen wird, um die Verhandlungen mit Parlament und EU-Kommission abzuschließen, damit die EU-Mitgliedsstaaten die Richtlinie noch bis Jahresende in nationales Recht umsetzen können. Schließlich sollen die Regeln – nach aktuellem Stand – schon für das Berichtsjahr 2023 greifen. Unternehmen, die zwei von drei Kriterien (Bilanzsumme: >20 Mio. €, Nettoumsatz: >40 Mio. €, Mitarbeiter: >250) erfüllen, sollen künftig dazu verpflichtet werden, detailliert über ihre Klimaziele und wichtige Nachhaltigkeitskennzahlen Auskunft zu geben – nach einheitlichen, standardisierten und messbaren Kriterien.

Versicherer sind davon in doppelter Weise betroffen: Zum einen als berichtende Unternehmen, zum anderen als Kapitalanleger, die ihre Investitionsentscheidungen nachhaltig ausrichten wollen. Die deutschen Versicherer setzen sich vor allem dafür ein, dass die Berichtspflichten in zwei Stufen eingeführt werden, um Qualität und Umfang der Nachhaltigkeitsinformationen schrittweise zu verbessern. Auch sollten Proportionalität und Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, sowohl mit Blick auf den Anwendungsbereich als auch den Berichtsumfang.

Klimarisiken werden gemessen

Mit Jahresbeginn startet der Referenzzeitraum für die Erfassung der negativen Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf ökologische und soziale Faktoren – die sogenannten Principal Adverse Impact Indicators. Auf Basis dieser Daten müssen Finanzmarktteilnehmer bis spätestens Ende Juni 2023 ausweisen, welche negativen Auswirkungen ihre Geschäftstätigkeit beispielsweise auf die Umwelt oder Arbeitnehmerbelange hat. Diese Berichte sind Bestandteil der Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR). Mit ihr will die Europäischen Union (EU) die Transparenz darüber erhöhen, inwieweit die Unternehmen in ihren Kapitalanlagen Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen.

Abfrage der ESG-Präferenzen beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten

Das Thema Nachhaltigkeit gewinnt auch im Versicherungsvertrieb an Bedeutung. Ab August müssen Vermittler oder Versicherer die Kunden vor dem Verkauf von Versicherungsanlageprodukten fragen, welchen Wert sie auf ökologische und soziale Aspekte sowie auf gute Unternehmensführung (Environment, Social, Governance; ESG) legen – und entsprechend der Präferenzen die passenden Produkte auswählen. Dafür muss natürlich klar sein, inwieweit beispielsweise eine fondsgebundene Lebensversicherung nach ESG-Kriterien ausgerichtet ist. Deshalb fließen Nachhaltigkeitsaspekte schon vorab beim Produktgenehmigungsverfahren mit ein, vor allem bei der Frage, für welche Kundengruppe (Zielmarkt) das Produkt gedacht ist.

Weiterer Dialog über Naturgefahrenabsicherung

Die Diskussion über eine flächendeckende Verbreitung von Elementarversicherungen wird die Branche 2022 weiter begleiten. Unter dem Eindruck der verheerenden Juli-Flut, bei der viele Betroffene nicht versichert waren, war die Debatte wieder aufgepoppt. Die Versicherer haben bereits einen Vorschlag gemacht, wie sich die Elementarschadenabdeckung deutlich erhöhen ließe. Sie wollen den Schutz vor Starkregen- und Überschwemmungsschäden künftig obligatorisch in neuen Wohngebäudeversicherungen anbieten und bestehende Verträge entsprechend umstellen. Kunden, die den Baustein nicht möchten, müssten ihn aktiv abwählen. Dafür müsste der Gesetzgeber den notwendigen Rahmen schaffen.

Zugleich fordert die Versicherungswirtschaft ein nachhaltiges Umsteuern der öffentlichen Hand, etwa durch klare Bauverbote in hochwassergefährdeten Gebieten. Nur in einem System mit den Elementen Prävention, finanzielle Vorsorge und Anpassung an die Folgen des Klimawandels können die Gebäude fit für Extremwetterereignisse gemacht werden. Der GDV-Vorschlag dürfte spätestens im Juni wieder zur Diskussion kommen: Bis dahin soll eine von den Landesjustizministern eingesetzte Arbeitsgruppe prüfen, ob eine gesetzliche Elementarpflichtversicherung verfassungsrechtlich durchsetzbar wäre – und welche Alternativen es dazu gibt. Der GDV steht für den Dialog mit der Politik bereit.

Provisionsdeckel in der Restschuldversicherung kommt

Ab Juli ist die Abschlussprovision bei der Vermittlung einer Restschuldversicherung gedeckelt. Der zulässige Höchstsatz liegt dann bei 2,5 Prozent der Kreditsumme, wobei darin weder Zinsen noch eine eventuell mitfinanzierte Einmalprämie mitberücksichtigt werden dürfen. Dienstleistungen der Vermittler dürfen zukünftig nur entweder mit einer Abschlussprovision oder aufwandsbezogen vergütet werden. Bei einer aufwandsbezogenen Vergütung darf ein Versicherer Leistungen des Vermittlers nur in dem Maße honorieren, wie sie bei ihm zu einer entsprechenden Ersparnis führen.

EU-Kommission stellt Kleinanlegerstrategie vor

Die EU-Kommission wird 2022 ihre Kleinanlegerstrategie vorlegen. Damit will sie erreichen, dass mehr Privatpersonen in Europa investieren und von den Chancen am Kapitalmarkt profitieren. Das setzt voraus, dass diese Kleinanleger wirksam geschützt werden und dass sie Finanzanlageprodukte aller Art über Ländergrenzen hinweg vergleichen können. Deshalb wird die Kleinanlegerstrategie mit neuen Regeln für Informationspflichten, mit Maßnahmen zur Förderung der Finanzbildung und zur Reduktion der Komplexität von Produkten einhergehen. Auch digitale Innovationen sollen sich entfalten können, um ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erreichen. Und es wird um die Vermeidung von Interessenkonflikten gehen. Die EU-Kommission bezieht bei ihren Überlegungen Anlageprodukte im Versicherungsmantel explizit mit ein. Sie hat die Europäische Aufsichtsbehörde Eiopa aufgefordert, technische Ratschläge zur Umsetzung dieser Kleinanlegerstrategie vorzulegen. Der Entwurf für diese Ratschläge wird im Januar erwartet.

Regulierungsvorschlag zu Fahrzeugdaten erwartet

Die EU-Kommission arbeitet seit längerem an einer gesetzlichen Regelung zum Umgang mit Fahrzeugdaten, ihre Pläne dazu könnte sie nun 2022 präsentieren. Fahrzeugdaten sind ein wertvolles Gut, bilden sie doch die Grundlage für neue Dienstleistungen rund um das Auto, beispielsweise für Telematik-Tarife. Wie gut der Markt funktioniert, hängt vor allem davon ab, wer wann wie auf die Daten aus den vernetzten Autos zugreifen kann. Die Versicherer setzen sich für einen freien und fairen Wettbewerb ein: Verbraucher sollten selbst entscheiden können, an wen sie ihre Fahrzeugdaten übermitteln. Und alle Marktteilnehmer –  Hersteller, Werkstätten, Automobilclubs, Versicherer – sollten einen gleichberechtigten Datenzugang haben.

Neue Bilanzierungsregeln werfen Schatten voraus

Für börsennotierte Versicherungsgesellschaften bricht 2022 eine neue Zeitrechnung an: Nach mehr als zwei Jahrzehnten Vorlaufzeit kommt der neue internationale Rechnungslegungsstandard für Versicherungsverträge, kurz IFRS 17, erstmals zur Anwendung. Formal treten die Regeln zwar erst ein Jahr später in Kraft. Weil die Unternehmen in ihren Geschäftsberichten für 2023 aber konsistente Vergleichszahlen für das Vorjahr angeben müssen, startet bereits zum 1. Januar 2022 der Live-Betrieb parallel zum Interimsstandard IFRS 4, der 2023 abgelöst wird. Das neue Regelwerk macht die Bilanzen der Versicherer aktueller, transparenter und vor allem international vergleichbar – innerhalb der Branche, aber auch mit anderen Industrien. International agierende Unternehmen können ihre Bilanzen nun nach global einheitlichen Regeln aufstellen und müssen nicht mehr viele nationale Sondervorschriften beachten. So bleibt ihnen Aufwand erspart. Die neuen Regeln helfen aber auch den Investoren, die die Kennzahlen der Unternehmen besser miteinander vergleichen können.

Reform der privaten Altersvorsorge

Die Versicherer unterstützen weiterhin eine rasche Reform der privaten Altersvorsorge. Nachdem das Vorhaben von der Vorgängerregierung liegen gelassen wurde, haben sich SPD, FDP und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag erneut einer Reform verschrieben. Was die neue Regierung konkret vorhat, ist allerdings noch offen. Die Versicherungswirtschaft wird sich mit ihren Reformvorschlägen aktiv in die Diskussion einbringen. Dazu gehören etwa eine vereinfachte Förderung und eine Öffnung für Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen.

Arbeit am Solvency II-Review geht weiter

Der politische Abstimmungsprozess zur Reform des europäischen Versicherungsaufsichtsrechts Solvency II geht 2022 in die nächste Runde. Nachdem die EU-Kommission 2021 ihre Pläne vorgelegt hat, werden nun der EU-Rat und das EU-Parlament ihre Positionen erarbeiten. Es ist gut möglich, dass beide Seiten schon 2022 ihre Arbeit zu einem Abschluss bringen werden. Im Anschluss würden die Trilog-Verhandlungen zwischen den drei EU-Institutionen beginnen. Aus GDV-Sicht hat sich Solvency II seit seiner Erstanwendung bewährt, die Anpassungen sollten daher ausbalanciert bleiben. Gerade die Pandemie hat gezeigt, dass die Aufsicht über alle erforderlichen Instrumente verfügt. Spielraum für Verbesserungen besteht bei der Anwendung der Proportionalität.

Text: Karsten Röbisch

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