Rücktransport aus dem Ausland: Retter in der Not
Ein schwerer Unfall, eine tückische Krankheit oder politische Unruhen: Es gibt viele Gründe, die Unternehmen zwingen, Mitarbeiter im Auslandseinsatz ganz schnell nach Hause zu holen. Für die mitunter halsbrecherischen Aktionen gibt es spezielle Dienstleister – und Versicherer, die sie unterstützen
Den Beginn des Militärputsches in Myanmar hat Antje Kinder glatt verschlafen. „Als ich morgens zur Arbeit wollte, stand unser Fahrer in der Tür und sagte, ich solle auf gar keinen Fall ins Büro gehen“, erinnert sich die Projektleiterin der Sparkassenstiftung an den 1. Februar 2021. Einen Notruf nach Deutschland konnte sie gerade noch absetzen, dann wurde das Internet gesperrt. „Da hatte ich schon ein mulmiges Gefühl, weil ich von sämtlichen Informationen, etwa Empfehlungen der deutschen Botschaft, abgeschnitten war. Diese Ungewissheit war das Schlimmste.“
Seit gut sechs Jahren kümmerte sich die Deutsche von Rangun aus um die Finanzierung von Projekten zur Armutsbekämpfung in dem südostasiatischen Land. Zunächst entschied sie sich dafür, trotz der Unruhen zu bleiben, arbeitete aus dem Homeoffice weiter, als die Netzverbindung wieder stand. Doch dann verlagerten sich die Proteste von den großen Plätzen in die Nebenstraßen. „Plötzlich war meine Wohnung täglich von Demonstranten umzingelt, das Militär ging immer härter gegen die Menschen vor, mit Gummigeschossen und Tränengas.“ Ihr Arbeitgeber riet ihr, in ein Hotel umzuziehen und plädierte wenig später für die Ausreise. Doch das war leichter gesagt als getan. Wegen der Corona-Pandemie hatten die Airlines ihre Flugpläne ausgedünnt. Ein Nervenkrieg begann. „Wir buchten Plätze auf allen Flügen, die es gab“, erzählt Kinder. Zunächst sollte sie nach Bangkok fliegen, doch das Visum kam nicht rechtzeitig. Ende März, unmittelbar vor dem „Tag des Militärs“, an dem mit weiteren heftigen Ausschreitungen gerechnet wurde, gelang ihr nach mehreren vergeblichen Versuchen schließlich die Ausreise nach Deutschland.
Knapp vier Millionen Deutsche leben nach Angaben des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung im Ausland, die Mehrzahl aus beruflichen Gründen. Je nach Einsatzort sind sie unterschiedlich hohen Risiken ausgesetzt, gegen die ihre deutschen Arbeitgeber sie absichern. Hat etwa ein Ingenieur einen schweren Unfall auf einer Baustelle in Nicaragua und kann vor Ort nicht bestmöglich behandelt werden, muss sein Unternehmen zügig den Rücktransport arrangieren. Kommt es zu Krieg oder politischen Unruhen wie jüngst in Äthiopien, brauchen die Beschäftigten sichere Unterkünfte. In Ländern mit hoher Kriminalitätsrate wie den USA besteht eine erhöhte Gefahr von Raubüberfällen, im schlimmsten Fall mit Schuss- oder Stichverletzungen.
Zum Schutz vor solchen Notlagen bieten Versicherer sogenannte Assistance-Leitungen an. Sie werden auf das Risikoprofil des Mitarbeiters sowie des jeweiligen Landes zugeschnitten und reichen von der klassischen Auslandskrankenversicherung über Rechtschutz- und Unfallversicherung bis hin zu Evakuierungseinsätzen bei Naturkatastrophen, Krieg oder Terror. Und das rund um die Uhr und weltweit.
Der Arbeitgeber habe eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern im Ausland, sagt Jadwiga Dutsch. „Oberste Priorität ist, dass sie an ihrem Einsatzort nicht schlechter gestellt sind als zu Hause“, so die Regionalleiterin medizinische Assistance beim Spezialversicherer Allianz Worldwide Partners, der seinen Firmenkunden Gruppenverträge für Expats anbietet. Besonders gefordert sind die Experten, wenn sich Unfälle fernab der Metropolen oder in Staaten mit geringer medizinischer Infrastruktur ereignen. „Bei einer Testfahrt in der marokkanischen Wüste verunglückte der Mitarbeiter eines Automobilherstellers, den wir dann mit einem Ambulanzflugzeug nach Deutschland gebracht haben“, nennt die Medizinerin Dutsch ein Beispiel. In der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator erlitt ein Ingenieur einen schweren Herzinfarkt. „Er wurde zunächst vor Ort versorgt und, als er transportfähig war, in ein Krankenhaus nach China verlegt.“
Um stets die optimale Behandlungsalternative zu finden, hat die Allianz-Tochter weltweit ein engmaschiges Netzwerk an Partnern aufgebaut und profitiert nicht zuletzt von ihren Erfahrungen mit Notfällen in der Reisekrankenversicherung, für die der Dienstleister gleichfalls zuständig ist. So brachte die Versicherung schon mal ein zu früh geborenes Baby im Inkubator per Learjet aus Athen nach Deutschland oder flog einen Touristen mit kompliziertem Beinbruch vom Krüger Nationalpark in Südafrika nach Deutschland aus. Kann ein Patient nur liegend transportiert werden, buchen die Assisteure auch schon mal eine ganze Sitzreihe mit sechs Plätzen im hinteren Teil eines Linienfliegers und trennen diese mit Sichtschutz ab. Ist eine intensivmedizinische Betreuung erforderlich, werden spezielle Ambulanzjets eingesetzt. „So ein Rücktransport kann schnell bis zu 200.000 Euro kosten“, weiß Dutsch.
Ausgeflogen im EpiShuttle
Die Pandemie hat das Leben der Notfallteams zusätzlich verkompliziert. Insbesondere einen im Ausland akut an Covid-19 Erkrankten zur Behandlung in die Heimat zu holen, ist extrem aufwendig. „Für diesen Fall sind wir darauf angewiesen, dass die Transportmittel unserer Partner mit innovativen Patientenisolationssystemen ausgestattet werden können“, sagt Rudolf Lorenz, Abteilungsleiter bei der Deutsche Assistance Service GmbH, die für die Sparkassen-Finanzgruppe und alle öffentlichen Versicherer medizinische Notfälle managt. Hochinfektiöse Patienten werden in einem so genannten EpiShuttle ausgeflogen, eine Art gläserner Schneewittchensarg, in dessen Inneren ein Unterdruck herrscht, sodass keine kontaminierte Luft entweichen kann. So soll verhindert werden, dass die medizinische Crew sich ansteckt. An verschiedenen Öffnungen kann sie Infusionen, Überwachungskabel oder Beatmungsgeräte anschließen. Vor dem Transport klären international erfahrene Ärzte mit den Medizinern vor Ort ab, welche medizinische Behandlung notwendig ist. „Um gleichzeitig die Kosten im Blick zu behalten, arbeiten wir auch mit lokalen Spezialisten, die in der Lage sind, dezidiert die Rechnungen der Krankenhäuser und Ärzte zu prüfen und zu verhandeln“, erklärt Lorenz, der mit rund 50 Kollegen mehr als 10.000 Assistance-Fälle pro Jahr abwickelt.
Unternehmen wie der Düsseldorfer Energieversorger Uniper beschäftigen eigens Security Manager und internationale Sicherheitsdienstleister, um bei Auslandseinsätzen für das Wohl ihrer Beschäftigten und deren Familien zu sorgen. Bevor Thorsten Blüher grünes Licht für eine Abreise etwa nach Indien oder in die Vereinigten Arabischen Emirate gibt, haben er oder ein Kollege den künftigen Einsatzort meist persönlich bereist, die besten Krankenhäuser sowie sichere Wohnlagen identifiziert oder bereits für die Sicherheit der ausgewählten Immobilie gesorgt, sei es mit speziellen Schließanlagen, einem Notstromaggregat, Trinkwasserreserven oder sogar einem Panic Room für den Fall eines Einbruchs. „Bei Notfällen aller Art können sich die Mitarbeitenden an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr an unseren Dienstleister oder direkt an mich wenden“, sagt Unipers oberster Security Manager. Eine App schlägt zudem Alarm, wenn vor Ort eine Katastrophe droht, zum Beispiel ein Hurrikan oder ein Tsunami.
Im Ernstfall ist digitale Technik ein wichtiger Helfer. Besonders gefährdete Personen stattet Blüher mit Notfall-USB-Sticks in Form einer Kette oder eines Armbands aus. Darauf sind Namen, Notfallkontakte und wichtige medizinische Infos gespeichert. Beim Putschversuch in der Türkei 2016 dirigierte der Sicherheitsexperte einen verzweifelten Kollegen via WhatsApp aus der Gefahrenzone in ein sicheres Haus. „In Südafrika wurde bei einem Expat eingebrochen. Er konnte sich mit seiner Familie gerade noch rechtzeitig in den Panikraum in Sicherheit bringen“, so Blüher. Anschließend seien die Schwachstellen des Sicherheitskonzepts eingehend analysiert und soweit möglich beseitigt worden.
Die Kosten für notwendige Rücktransporte, egal aus welchen Gründen, übernehme der Sicherheitsdienstleister, sagt Blüher. Weitere Risiken deckt Uniper über Spezialversicherer ab. Der Experte stellt sich darauf ein, dass die Zeiten nach dem Ende der Corona-Pandemie noch deutlich unruhiger werden als bisher schon. „Die Armut nimmt zu und das wird eine höhere Kriminalität zur Kapitalbeschaffung nach sich ziehen“, erwartet der Security Manager. „Wir müssen deshalb an allen Standorten überprüfen, ob unsere Maßnahmen noch zeitgemäß sind.“
Gute Vorbereitung ist entscheidend
Wie schnell sich eine Sicherheitslage ändern kann, hat die Deutsche Sparkassenstiftung nicht nur in Myanmar erlebt. 80 Mitarbeiter arbeiten aktuell für die Organisation langfristig im Ausland, darunter einige Länder mit prekärer Sicherheitslage wie Mexiko, Burundi oder die Philippinen. „Prävention ist das A und O“, sagt Niclaus Bergmann, als Geschäftsführer der Deutschen Sparkassenstiftung zuständig für internationale Kooperation. „Wir wollen nicht, dass jemand zu Schaden kommt.“ Vor der Abreise muss daher jeder Mitarbeiter mit seinem Partner oder der ganzen Familie ein Sicherheitstraining absolvieren, das abhängig vom Zielort drei bis fünf Tage dauert. Zu den vorbeugenden Schutzmaßnahmen im Vorfeld gehören für Bergmann auch Absprachen mit lokalen ortskundigen Kollegen. Und selbst das hilft nicht immer. Er selbst hat erlebt, dass eine Woche nach seinem Besuch einer Sparkasse in der mexikanischen Provinz just dort eine Schießerei stattfand. Ein einheimischer Mitarbeiter des Geldinstituts kam dabei ums Leben.
„Wird die Lage zu ernst, etwa nach einem Militärputsch oder einem Vulkanausbruch wie jüngst auf der Karibikinsel St. Vincent, versetzen wir die Mitarbeiter in benachbarte Staaten“, sagt Bergmann. Kritisch werde es oft auch im Umfeld von Wahlen. „Die Mitarbeiter kennen das Risiko und sind darauf vorbereitet, notfalls einige Tage Wohnung oder Büro nicht verlassen zu können.“ Informationen und Hilfe im Notfall können Expats auch über das Elefand-System des Auswärtigen Amts bekommen. Das Kürzel steht für „Elektronische Erfassung von Deutschen im Ausland“. Wer sich hier registriert, ist im Krisenfall auch auf dem Radar der Bundesregierung.
Antje Kinder ist nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland und ein paar Wochen Urlaub inzwischen wieder zurück in Asien und kümmert sich wie früher um Projekte zur Armutsbekämpfung in Myanmar. Allerdings arbeitet sie heute im Homeoffice – von Bangkok aus.
Text: Eli Hamacher