„Eine der wichtigsten Säulen der Digitalisierung“
Der elektronische Identitätsnachweis ist für das Leben in der digitalen Welt unerlässlich. Im Interview mit GDV.de sagt Netzaktivist Daniel Domscheit-Berg, was eine gute Lösung ausmacht – und wieso der Zeitplan für die Einführung unrealistisch ist.
Herr Domscheit-Berg, haben Sie einen elektronischen Personalausweis
Daniel Domscheit-Berg: Ja, den habe ich. Das habe ich festgestellt, als ich irgendwann mal die Grundsteuererklärung machen musste. Bis dahin war mir gar nicht bewusst, dass ich so ein fortschrittliches Identifizierungsdokument bei mir trage.
Also ein Zufallsfund?
Domscheit-Berg: Quasi ja.
Das ist ziemlich typisch. Viele Deutsche haben den elektronischen Personalausweis entweder gar nicht. Oder wenn sie ihn haben, nutzen sie ihn nicht online. Warum läuft die Akzeptanz so schleppend?
Domscheit-Berg: Ich denke, es liegt vor allem daran, dass es zur Einführung des elektronischen Personalausweises keine Kampagne gab. Das wurde damals ausgerollt, es gab ein paar Berichte und fertig. In unserer schnelllebigen Zeit ging das total unter. Man muss die Leute aufklären und ihnen zeigen, wie sie das benutzen können und vor allem wofür. Dass es zur Einführung an konkreten Anwendungsfällen mangelte, ist sicherlich ein weiterer Grund für die schwache Verbreitung.
Nun soll es ganz schnell gehen mit der elektronischen Identifizierung. Die EU hat ein Gesetz verabschiedet, das die Mitgliedstaaten verpflichtet, bis Ende 2026 eine sogenannte Digital Identity Wallet (EUDI-Wallet) aufzubauen. Eine Art digitale Brieftasche, in der neben dem elektronischen Identitätsnachweis auch andere Dokumente und Zertifikate abgespeichert werden können, akademische Zeugnisse oder Nahverkehrstickets zum Beispiel. Glauben Sie, wir kriegen das hin?
Domscheit-Berg: Ich halte den Zeitrahmen für unrealistisch. Es gibt bislang auf einer sehr abstrakten Ebene eine Beschreibung dessen, was die Wallet können soll. Aber es gibt keinerlei technische Spezifikationen, was zu implementieren ist. Die braucht es aber, bevor irgendjemand loslegen kann. Das ist keine gute Ausgangslage für ein Projekt, bei dem nichts schief gehen darf.
Warum ist das Projekt so bedeutend?
Domscheit-Berg: Die elektronische Identität ist eine der wichtigsten Säulen der Digitalisierung, vergleichbar mit dem Breitbandausbau. Sie ist Voraussetzung dafür, dass der Alltag in der digitalen Welt überhaupt funktioniert. Wie identifiziere, authentifiziere ich mich in meinen verschiedenen Rollen im Leben gegenüber Behörden, Banken oder anderen Unternehmen im Netz? Die elektronische Identität ermöglicht es uns, unseren Alltag einfacher zu gestalten, weil wir Dinge sicher digital tun können, für die wir heute noch irgendwohin zu Fuß gehen müssen.
Sie sprachen die fehlenden Anwendungsmöglichkeiten bei der Einführung des elektronischen Personalausweises an. Wären die Behörden bis 2026 überhaupt soweit, die EUDI-Wallet bei sich anzubinden?
Domscheit-Berg: Ich sehe nicht, wie die Ämter bis 2026 ein System implementieren, das mit den beschriebenen Anforderungen kompatibel ist. Wie lange reden wir schon über das Onlinezugangsgesetz? Und wie viele Baustellen gibt es noch? Darin zeigt sich auch ein typisch deutsches Problem. Wir sind schlecht darin, Prozesse neu zu erfinden. Digitalisierung bedeutet aber, den Prozess zu überdenken und unter Umständen neu aufzusetzen, weil sich das Werkzeug geändert hat. Sie planen ja auch keine Reise mehr mit dem Pferdefuhrwerk, wenn Sie ein Auto haben. Wir sollten uns Zeit nehmen und auf keinen Fall die Fehler wiederholen, die wir beim Netzausbau begangen haben. Da wurde viel Geld im Vectoring- oder DSL-Ausbau versenkt, obwohl klar war, dass Glasfaser das einzige zukunftsfähige Medium ist. Das ist ärgerlich, kostet Zeit und ist volkswirtschaftlich teuer. Das ist nichts aber im Vergleich mit dem Identitäts-Super-Gau für die Menschen, wenn wir irgendwas Halbgares auf den Markt werfen.
Wem trauen Sie die Umsetzung der Wallet am ehesten zu: dem Staat oder privaten Anbietern?
Domscheit-Berg: Da bin ich etwas hin- und hergerissen. Technologisch betrachtet hat die Privatwirtschaft sicherlich einen gigantischen Vorsprung. Gleichzeitig leben die Unternehmen zu einem großen Grad davon, viele Daten zu bündeln. Die Nutzungsbedingungen, die wir heute vielfach vorfinden, sind ja ein Ausdruck dieses Überwachungskapitalismus. Wenn Privatanbieter diese Wallets entwickeln, sehe ich die Gefahr, dass die Daten zu einem sekundären Geschäftsmodell von Verifizierungsdienstleistern werden. Das darf auf keinen Fall passieren. Da habe ich mehr Vertrauen in den Staat. Und auch den Anspruch, dass er als Dienstleister für mich als Bürger diese Aufgabe erfüllt in einer Art und Weise, wie es für mich am besten wäre.
Die Wallet soll ja nicht nur für staatliche Dienstleistungen genutzt werden, auch private Unternehmen sollen darauf zugreifen können, um Geschäfte rechtssicher abwickeln zu können. Muss ich dann für jedes Online-Geschäft meine Daten preisgeben?
Domscheit-Berg: Es gibt verschiedene Anwendungsfälle. Wenn Banken oder Versicherer geldwäschekonform die Identität ihre Kunden prüfen müssen, brauchen sie umfangreichere Informationen, als wenn es nur um den Nachweis der Volljährigkeit geht, weil beispielsweise jemand online Cannabis-Samen kaufen will. Die EU-Wallet enthält dafür viele fortschrittliche Funktionen wie beispielsweise das Prinzip des sogenannten Zero Knowledge Proof. Damit kann ich mein Alter verifizieren, ohne dass ich preisgeben muss, wer ich bin oder wann ich geboren wurde. Außerdem gibt es das Konzept des Selective Disclosure: Wenn ein Unternehmen Daten abfragen möchte, muss es das beantragen. Das wird dann transparent in einem Register hinterlegt. Jeder kann selbst bestimmen, welche Informationen er preisgeben möchte.
Die Entscheidungsfreiheit bleibt also beim Verbraucher?
Domscheit-Berg: Ja, die Menschen können die elektronische Datenabfrage auch ablehnen. Sie muss diskriminierungsfrei sein und darf nicht zur Pflicht werden. Und es darf auch keine geldwerten Vorteile geben, wenn man Dinge elektronisch macht anstatt analog.
Könnte die EU-Wallet der Einstieg in einen Identifizierungszwang sein, beispielsweise auch auf den Social-Media-Plattformen, wo viele ja mit Scheinidentitäten unterwegs sind?
Domscheit-Berg: Es gibt keinen Grund dafür, einer Social Media Plattform den Zugriff auf meine hoheitlichen Daten zu erlauben. Ich kann das vielleicht freiwillig für bestimmte Zwecke angeben, aber nicht verpflichtend. Das wäre ein Fall des Selective Disclosure. Es wäre eine Katastrophe, wenn alles in Zukunft nur noch über hoheitliche Informationen funktioniert. Dies wäre der Verlust jeglicher Anonymität.
Aber wer will das verhindern?
Domscheit-Berg: Das verhindert der Markt. Die Menschen würden es nicht mitmachen. Die Plattformbetreiber könnten es schon heute tun. Ich glaube, dann wären ganz viele User weg.
Wie beurteilen Sie die Gefahr eines Missbrauchs der Daten durch den Staat? Wir leben in einer Demokratie, autoritäre Staaten könnten die gebündelten Informationen nutzen, um Menschen in irgendeiner Form zu diskriminieren.
Domscheit-Berg: Das ist eine reale Gefahr, und dafür müssen wir gar nicht in andere Länder schauen. Wenn ich darüber nachdenke, was wäre wenn in ein paar Jahren unter Umständen auch bei uns im Land die Stimmung kippt und dann diese ganzen Instrumente und Datenbestände da sind, dann bekomme ich Angst. Wir wissen aus unserer eigenen Geschichte, was passieren kann, wenn sich ein Unrechtsregime mit einem Technologie-Provider zusammentut. Die Nazis nutzten die Lochkarten-Systeme eines großen amerikanischen Technologieunternehmens, um Menschen zu kategorisieren und den Massenmord an den Juden zu organisieren. Deswegen ist es durchaus problematisch, wenn der Staat oder Geheimdienste in die Wallet reingucken können. Da müssen wir als Zivilgesellschaft wachsam sein.