Von wegen Dickschiffe: So kooperieren Versicherer mit Insurtechs
Dickschiffe und Schnellboote? Die Zeit der Grabenkämpfe zwischen etablierten Versicherern und Insurtechs ist vorbei, die Zeichen stehen auf Kooperation. Doch bei allen Vorzügen für beide Seiten zeigt sich auch, wie unterschiedlich Konzerne und Start-ups ticken.
Vier Jahre nach der Gründung sah es für Getsurance nicht gut aus. Ein finanzieller Engpass, Streit mit dem Investor, Kritik von Verbraucherschützern: Im Oktober 2020 musste das Berliner Insurtech-Start-up, das als digitaler Versicherungsvermittler zunächst Berufsunfähigkeits-, später Krebsversicherungen verkaufte, Insolvenz anmelden. Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen. Die Idee, sogenannte Dread-Disease-Policen online zu vertreiben, stieß in eine Marktlücke, viele traditionelle Versicherer taten sich mit digitalen Produkten noch schwer. 2017 stieg ein Schweizer Investor mit einem Millionenbetrag ein. Doch dann blieben weitere Finanzierungsrunden aus. Viele Insurtechs mussten in den vergangenen Jahren aufgeben, ihre Geschäftsmodelle anpassen oder sich starke Partner suchen. Zwar floss 2020 nach Angaben von Willis Towers Watson die Rekordsumme von 7,1 Milliarden US-Dollar an frischem Geld an Start-ups aus der Versicherungsbranche. Den Löwenanteil vereinen allerdings vor allem große, bereits etablierte Insurtechs auf sich.
In Deutschland ist die Zahl der Neugründungen rückläufig. Auch der Großangriff der US-Digitalversicherer auf den hiesigen Markt ist bisher ausgeblieben. „Deutschland steht ganz oben auf der Liste“, hatte Dan Preston, CEO des inzwischen börsennotierten US-Insurtechs Metromile, 2019 im „Positionen“- Interview gesagt. Wahrgemacht hat er die Ankündigung bisher nicht. Statt auf Konfrontation setzen heute sowohl die etablierten Versicherungsunternehmen als auch viele Neugründer auf Kooperation. Denn jeder verfügt über etwas, das der jeweils andere nicht hat: Die Jungunternehmen bringen die für die Zukunft so wichtige digitale Expertise mit, die Konzerne das Kapital, die Marktkenntnis und Millionen von Bestandskunden. Und so investieren immer mehr Versicherer in die Digitalisierung in Form von hoffnungsvollen Insurtechs – oder übernehmen sie gleich ganz. So wie die Nürnberger Versicherung, die im Januar Getsurance aus der Insolvenz herauskaufte.
Investieren, beteiligen, aufkaufen
„Wir sind schon seit geraumer Zeit in verschiedenen Start-up Netzwerken aktiv unterwegs und kennen die Fähigkeiten dieser agilen Unternehmen“, sagt Vorstandsmitglied Harald Rosenberger. Nach seinen Angaben setzte sich die Nürnberger gegen mehrere andere Interessenten durch und will Getsurance entschulden und finanziell neu aufstellen. Der Markenname bleibe erhalten, alle Mitarbeiter würden übernommen. Versicherer, die nicht gleich ein komplettes Start-up kaufen wollen, beteiligen sich häufig an Finanzierungsrunden – und werden so Mitgesellschafter, ohne die strategische Führung zu übernehmen. So investierte der Schweizer Rückversicherer Swiss Re in das Heidelberger Insurtech-Unternehmen Getsafe, das unter anderem digitale Haftpflicht- und Hausratsversicherungen verkauft. Auch die Allianz hat über ihre Beteiligungsgesellschaft Allianz X Kapital in Getsafe gesteckt, ebenso wie in Simplesurance, ein Startup, das IT Infrastruktur für Annexversicherungen anbietet – also Policen, die als Nebenprodukt verkauft werden, wie etwa Kfz-Versicherungen beim Autokauf. Der Versicherer Zurich ging einen ähnlichen Weg und beteiligte sich an einer 15-Millionen-Euro-Finanzierungsrunde der weltweit tätigen Digital Insurance Group (DIG), einem IT-Dienstleister für Versicherungen und Banken.
In der frühen Phase sind solche Finanzierungsrunden für Start-ups enorm wichtig, denn nur mit frischem Geld können sie weiter investieren und wachsen. Versicherungen sind hier gern gesehene Partner, denn viele Insurtechs verdienen ihr Geld mit dem digitalen Vertrieb der Produkte großer Konzerne, oder sie entwickeln Versicherungs-Apps und Portale für deren Kunden. Auch für die Konzerne ist die Zusammenarbeit wertvoll: „Die Versicherer haben ihr Kerngeschäft über Jahre hinweg aufgebaut und verfügen über einen enormen Kundenstamm“, sagt DIG-CEO Ingo Weber. „Wir bringen unsere Digitalexpertise ein und bieten Versicherern unsere Technologie an.“ Dass Weber die Zusammenarbeit derart harmonisch schildert, hat einen einfachen Grund: Die DIG tritt als IT-Dienstleister auf und konkurriert daher nicht mit ihren Anteilseignern aus der Assekuranz, sondern ist ihr Geschäftspartner. Das erleichtert vieles. Weniger nett geht es zu, wo Insurtechs die gleichen Produkte wie die etablierten Versicherer anbieten – nur eben als digitale Versicherung. So bietet das US-Start-up Lemonade seit 2019 in Deutschland digitale Hausrat- und Privathaftpflichtversicherungen an, das Berliner Insurtech Ottonova ist mit eigenen privaten Krankenversicherungen am Markt aktiv.
Digitalisierung in der Versicherungsbranche: Brückenbauer zwischen den Kulturen
Insurtechs mit eigener Versicherungslizenz sind in Deutschland jedoch die Ausnahme. Die meisten Start-ups haben sich mittlerweile von dem Gedanken verabschiedet, selbst Versicherer zu werden, weiß DIG-Chef Weber. „Neukunden zu gewinnen ist unglaublich aufwendig und teuer“, sagt er. „Deshalb haben in den vergangenen Jahren viele, die eigentlich selbst auf der Vertriebsseite agieren wollten, ihr Geschäftsmodell geändert.“ Auch scheuen viele den Aufwand, den die starke Regulierung für Vollversicherer mit sich bringt. Zudem habe sich die Atmosphäre zwischen Versicherern und Insurtech-Unternehmen verändert, so Weber, die einstigen Grabenkämpfe seien vorbei: „Früher haben die großen Versicherer die Start-ups belächelt. Wenn wir heute mit ihnen in Kontakt treten, betrachten sie uns als Partner.“ Und das nicht nur, weil Insurtechs immer weniger in fremden Kundenbeständen wildern, sondern auch, weil die anfängliche Skepsis gegenüber den „jungen Wilden“ gewichen ist. „Es gibt viele Beispiele, bei denen Kooperationen gut funktionieren“, sagt Weber. „Das hat viele Versicherer überzeugt.“
Bei der Signal-Iduna-Gruppe, die aus verschiedenen Versicherungsunternehmen und vier Finanzdienstleistern besteht, läuft die Zusammenarbeit mit Start-ups etwas anders. 2017 wurde die Marke Signals gegründet, die sich als „Innovations-Ökosystem“ versteht. Signals bietet Jungunternehmern ein Umfeld, neue Geschäftsmodelle, Produkte und Services zu entwickeln – mit direkter Unterstützung eines Versicherungs- und Finanzkonzerns. Signal Iduna scoutet gewissermaßen junge Tech-Unternehmen, um dann in sie zu investieren und sie früh mit den eigenen Strukturen zusammenzubringen. „Wir verstehen uns als Brückenbauer zwischen den Start-ups und Signal Iduna“, sagt Solveig Schulze, Managing Director bei Signals.
Investoren werden schnell nervös
Dies sei vor allem dort nötig, wo die Unternehmenskulturen besonders weit auseinanderklaffen. „Es ist manchmal schwierig, die Prozesse eines Start-ups an die eines großen Versicherungskonzerns anzupassen“, so Schulze. Meist sei es die Erwartungshaltung, die im Vorfeld einer Zusammenarbeit geklärt werden müsse. Denn Insurtechs sind wie wendige Boote, die sich viel schneller bewegen als die Dickschiffe, bei denen Strategiepläne durch zig Instanzen gehen. Das ist für Kooperationen mitunter hinderlich, denn junge Firmen sind auf zügige Entscheidungen angewiesen, weil sonst die Investoren leicht die Geduld verlieren und den Geldhahn zudrehen. „Es passiert schon mal, dass Signal Iduna sagt: ‚Ja, wir können zusammenarbeiten, aber erst in einem Jahr‘“, erzählt Schulze. „Das stößt oft auf Unverständnis bei den Start-ups.“ In solchen Fällen vermittelt Signals, unterstützt mit Zwischenfinanzierungen, bahnt Partnerschaften an. Das älteste deutsche Insurtech ist, wenn man so will, der Direktversicherer HUK24. Er wurde bereits im Jahr 2000 gegründet – ausgerechnet von einem etablierten Versicherer: der HUK-Coburg- Versicherungsgruppe. Eine reine Online-Versicherung ins Leben zu rufen sei seinerzeit ziemlich mutig gewesen, sagt Vorstandsmitglied Uwe Stuhldreier rückblickend. „Damals war gerade die Dotcom-Blase geplatzt. Das Internet war also kein aufstrebendes, sondern ein totgesungenes Medium.“ Bei der HUK glaubte man trotzdem, dass Online-Dienstleistungen auch in der Versicherungsbranche immer wichtiger werden würden – und lag richtig.
Ein entscheidendes Erfolgskriterium war Stuhldreier zufolge die Entscheidung des damaligen Vorstandssprechers Rolf-Peter Hoenen, die neue Marke an den bestehenden und bekannten Namen HUK-Coburg anzulehnen. „Hätte man der HUK24 einen fiktiven, neuen Namen gegeben, wäre es deutlich schwerer geworden, sich am Markt zu etablieren“, sagt Stuhldreier. „So hatten wir direkt das Vertrauen vieler Kunden.“ HUK24 bietet dieselben Policen an wie die Muttergesellschaft – nur ausschließlich online, ohne persönliche Beratung, dafür aber günstiger. Schadensfälle landen jedoch bei der HUK-Coburg. „Im Ernstfall sollen unsere Kunden einen direkten Ansprechpartner haben“, sagt Stuhldreier. Wer etwa gerade einen Autounfall gehabt habe, dem sei nicht zuzumuten, eine App öffnen und den Schaden eintippen zu müssen. Das Prinzip funktioniert also schon seit mehr als 20 Jahren ganz ähnlich wie die Kooperationen zwischen Insurtechs und Versicherern heute: digital, einfach, kostengünstig – aber mit den Strukturen eines Großkonzerns im Hintergrund. Das Beste aus beiden Welten.
Text: Celine Schäfer