„Wir brauchen ein tragfähiges Wassermanagement“
Viel, viel Regen, Hochwasser und Überschwemmung. Zuvor fünf Jahre nahezu ungeahnte Dürre und Trockenheit. Das Land wankt zwischen zu viel und zu wenig Wasser. Im Interview spricht Dr. Andreas Marx, Leiter des Deutschen Dürremonitors am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, über Veränderungen im Wasserkreislauf.
Herr Marx, wie steht es um den Wasserhaushalt in Deutschland?
Andreas Marx: In diesem Jahr ist die schwere und lange Dürre seit 2018 zu Ende gegangen. Wir haben nachgeforscht, eine ähnlich schwere Dürre gab es zuletzt 1857 bis 1866. Die Regenmengen von 2023 und dem ersten Halbjahr 2024 haben dann in manchen Orten Deutschlands Werte erreicht, die statistisch gesehen nur einmal in 50 bis 100 Jahren oder seltener auftreten. Für den Wasser-haushalt bedeutet dies insgesamt: Auch die Grundwasserspiegel haben sich normalisiert. Der Zeitraum von Juli 2023 bis Juni 2024 war der niederschlagsreichste Zwölfmonatszeitraum seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1881.
Im ganzen Land?
Marx: Im Osten mit Schwerpunkt in Sachsen ist die Erholung nicht so stark wie in den westlichen Landes-
teilen. Im Nordwesten, Westen und Süden hingegen sind zuerst die Grundwasserspiegel deutlich über die Normalstände gestiegen, durch die zeitweisen extremen Niederschläge auf sehr nasse Böden sind große Hochwasserereignisse entstanden. Das Wasser drückte auch von unten auf Deiche, Infrastruktur und Gebäude. Auch das ist eine Extremsituation: viel Oberflächenwasser, viel Grundwasser.
Wie verändert sich unser Wasserkreislauf durch den globalen Temperaturanstieg?
Marx: Wärmere Luft nimmt mehr Wasser auf. Daher führt der Klimawandel global auch zu höheren Niederschlägen. Auch die Wahrscheinlichkeit extremen Niederschlags nimmt zu, wie sie Deutschland im Winter 2023 und im Frühjahr 2024 erlebte. Global ist das Mehr an Niederschlägen ungleich verteilt. Trockene Regionen wie der Mittelmeerraum werden trockener, nasse wie Skandinavien noch nasser.
Mit welchen Folgen ist für Deutschland künftig zu rechnen?
Marx: Deutschland liegt in einem Übergangsbereich – die mittleren Veränderungen sind vergleichsweise klein. Die Klima-Projektionen für Deutschland sind jedoch unterschiedlich. Der Niederschlag liegt in der Jahressumme auch in Zukunft auf dem Niveau der Vergangenheit, einige Simulationen zeigen aber auch eine langfristige Abnahme. Die Sommer werden heißer, der Wasserbedarf steigt. Die Böden werden im Spätsommer trockener. Im Winter wird es mehr als bisher regnen. Wir brauchen daher ein tragfähiges Wassermanagement, um den Überschuss an Wasser im Winter noch stärker als bisher in den Sommer zu bringen – und damit genügend Wasser verfügbar zu haben.
Wie kann dieses Wassermanagement aussehen?
Marx: Es gibt gute Ansätze, wir haben Talsperren für den Wasserrückhalt. In sehr trockenen Gegenden Deutschlands, wie etwa im Raum Magdeburg, wird das Grundwasser durch Flusswasser angereichert. Auch die Landwirtschaft braucht angepasste Bewässerung. Sie verfügt weitgehend über ein System aus Gräben und Drainagen, das darauf angelegt ist, Felder zu entwässern – weil es in der Vergangenheit eher zu viel Wasser gab. Das sollte so umgebaut werden, dass Wasser auch für Trockenheit verfügbar ist. Gleichzeitig muss auch der Verbrauch im Sommer reduziert werden, zum Beispiel durch effektivere Kühltechniken.
Ein ausgleichendes System ähnlich der blau-grünen Infrastruktur von Städten, das zu viel Regenwasser für Hitzetage zurückhält?
Marx: Das gilt für alle Anpassungsmaßnahmen. Sie müssen in der Lage sein, trockene und nasse Situationen nutzbar zu machen. Das geht mit einfachen Veränderungen. Die Parkplätze von Supermärkten etwa könnten teilweise entsiegelt und mit Hohlblocksteinen versehen werden. Das Regenwasser versickert in den Boden und wirkt gleichzeitig gegen Dürre und Überflutung.
Lässt sich auch ein zu hoher Grundwasserstand regulieren?
Marx: Ein aktives, flächiges Management für zu hohes Grundwasser sehe ich nicht. Das kennen wir aus dem Braunkohleabbau, wo jahrzehntelang Grund-wasser abgepumpt wurde. Das ist ein sehr aufwendiges und riskantes Verfahren. Dauerhaft zu hohes Grundwasser ist auch nicht das Problem, es ist eher eine zeitlich begrenzte Extremsituation. Da müssen wir eher unsere Risikowahrnehmung ändern und uns stärker anpassen.
Wie?
Marx: Wir haben mit Hochwasserschutz sehr viel Erfahrung in Deutschland, er muss aber konsequenter praktiziert werden. Anlagen wie Polder, Schutzmauern und vor allem Überflutungsflächen müssen schneller und einfacher geschaffen werden. Klar muss aber auch sein: Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz vor diesen Extremen. Und ein hundertjährliches Hochwasser tritt nicht alle 100 Jahre auf, sondern mit einer einprozentigen Wahrscheinlichkeit in jedem Jahr.
Welche Strategien hat Deutschland für das andere Extrem, für Dürre?
Marx: Bei Dürre haben wir immer noch großen Forschungsbedarf. Dürre entwickelt sich langsam, schleichend. Es fehlen Indikatoren: Wann beginnt sie? Welche Warnungen brauchen wir? Welche Maßnahmen ergreifen wir? Daran müssen wir in den kommenden Jahren arbeiten.
Sind Sie zuversichtlich, dass dies gelingt?
Marx: Mit der Nationalen Wasserstrategie hat die Bundesregierung 2023 einen Rahmen dafür gesetzt. Doch eine Strategie ist schnell verfasst, jetzt sollten Aktionen folgen, Investitionen in die Infrastruktur. Das braucht einen langen Atem. Das ist manchmal schwierig, weil Extremsituationen schnell vergessen sind.
Zum Hintergrund: Nationale Wasserstrategie
Mit der Nationalen Wasserstrategie will die Bundesregierung die Versorgung mit Trinkwasser gewährleisten, Grundwasser und Ökosysteme schützen, Landwirtschaft und Wirtschaft mit ausreichend Wasser versorgen. Bis 2030 soll ein vorausschauendes Wassermanagement geschaffen werden. Die Koordinaten: ein bezahlbares, sicheres Trinkwassersystem; natürliche Rückhalteflächen für das Wasser in der Stadt und auf dem Land; Renaturierung von Mooren und Flussauen als Schutz vor Hochwasser.
Naturgefahrenreport
Das Interview stammt aus dem aktuellen Naturgefahrenreport des GDV. Die vollständige Broschüre können Sie sich hier herunterladen.