„Der positive Eindruck hat sich bestätigt“
Versicherungsombudsmann Wilhelm Schluckebier hatte im Vorjahr weniger zu tun. Im Interview spricht er über die Gründe und sagt, warum Verbraucher öfter mit Fragen zu Kosten auf ihn zukommen. Ein Fazit zur Regulierung der Flut 2021 zieht er auch.
Herr Schluckebier, die Zahl der Beschwerden ist 2022 deutlich zurückgegangen, um knapp 15 Prozent auf etwa 15.900. Worauf führen Sie die positive Entwicklung zurück?
Wilhelm Schluckebier: Die Gründe lassen sich nicht verlässlich nennen. Eine Ursache ist sicherlich, dass wir 2022 keine starken Sondereffekte hatten, anders als in den Vorjahren mit teilweise mehreren hundert Beschwerden zu bestimmten Themen. Allerdings muss man auch sagen, dass bei anderen Schlichtungsstellen 2022 der Trend ebenfalls rückläufig war.
Gibt es einen gemeinsamen Grund?
Schluckebier: Darüber lässt sich nur spekulieren. Es könnte daran liegen, dass die nachklingenden Restriktionen der Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und auch die zunehmende Teuerung die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich gezogen und abgelenkt haben von individuellen Problemen. Im ersten Quartal dieses Jahr gibt es jedenfalls wieder deutliche Zuwächse und wir befinden uns auf dem Niveau von vor 2022.
Auffällig im Vorjahr ist der starke Rückgang der Streitfälle in der Rechtsschutzversicherung wegen des Dieselskandals. Woran liegt das?
Schluckebier: Dabei spielen mehrere Gründe eine Rolle: Ein Teil der Schadenersatzansprüche dürfte inzwischen verjährt sein. Zudem hat der Bundesgerichtshof mittlerweile viele wichtige Urteile dazu gefällt, sodass sich auch viele Fragen im Vertragsverhältnis zwischen Rechtschutzversicherern und Kunden geklärt haben. Die Diskussion wird durch das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofs allerdings neu belebt. Er hat entschieden, dass auch sogenannte Thermofenster als illegale Abschalteinrichtung zu qualifizieren sind und die Besitzer von betroffenen Dieselfahrzeugen auch dafür entschädigt werden müssen. Es bleibt spannend, wie sich die Entscheidung auf das Agieren der Rechtsschutzversicherer auswirken wird.
2021 hatten Sie lediglich 91 Beschwerden im Zusammenhang mit der Juli-Flut 2021 verzeichnet – bei mehr als 200.000 Schadensmeldungen. Abschließend bewerten wollten Sie das Regulierungsverhalten der Versicherer damals aber noch nicht. Wie beurteilen Sie das heute?
Schluckebier: Der positive Eindruck hat sich bestätigt. Wir hatten in den vergangenen zwei Jahren über alle Sparten hinweg nur etwa 150 Beschwerden, die wir der Starkregenkatastrophe zuordnen können. Das ist erstaunlich wenig. Auch die Erfolgsquote liegt im üblichen Bereich und fällt nicht aus dem Rahmen. Selbst wenn einige Großschäden noch nicht abschließend reguliert worden sind, weil beispielsweise Material oder Handwerker fehlen, verfestigt sich das Bild, dass die Schadenregulierung im Großen und Ganzen sehr effektiv war.
Im Jahresbericht erwähnen Sie zunehmende Beschwerden wegen der Bewertungsreserven in der Lebensversicherung. Diese sind im Zuge des Zinsanstiegs vielfach geschmolzen. Die Berechnung ist doch aber gesetzlich klar geregelt?
Schluckebier: Anhand der von den Versicherern bereitgestellten Unterlagen können wir die Berechnung mathematisch nur in engen Grenzen nachvollziehen. Wir kennen nicht den jeweiligen Anlagebestand und wissen auch nicht, wie hoch der jeweilige Buch- und Zeitwert des Anlagebestands ist und auf welchen Versicherungsnehmerbestand die Bewertungsreserven zu verteilen sind.
Die Kosten der Lebensversicherung stehen aktuell besonders im Fokus der Politik und der Aufsicht. In ihrem Jahresbericht stellen nun auch Sie fest, dass das Bewusstsein der Versicherungsnehmer dafür gestiegen ist. Wieso erst jetzt?
Schluckebier: Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Unternehmen seit einiger Zeit die Kunden regelmäßig über die Kosten informieren müssen. Gleichzeitig spielt das Thema auch in den Medien und in den Verbraucherinformationen eine viel größere Rolle und führt deshalb zu vielen Nachfragen. 2022 haben wir circa 500 Nachberechnungen durchgeführt. Bei den Abschluss- und Verwaltungskosten können wir relativ gut nachrechnen, ob sie dem entsprechen, was vertraglich vereinbart ist, und ob das, was vereinbart wurde, mit den gesetzlichen Grundlagen im Einklang steht. Danach kommt es durchaus zu Korrekturen.
Wie lange dauert ein Verfahren eigentlich im Schnitt?
Schluckebier: Durchschnittlich dauert es 70 Tage, bis die zulässigen Beschwerden abgearbeitet sind. Wir messen bei uns die Zeit vom Eingang der Beschwerde bis zum Abschluss des Verfahrens. Das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz fordert eine Einhaltung einer 90-Tage-Frist. Diese beginnt allerdings nach dem Gesetz erst, wenn alle erforderlichen Unterlagen für die Bearbeitung vorliegen. Unser Maßstab ist also strenger. So gesehen liegen wir mit unseren Zahlen vorbildhaft an der Spitze der Verfahrensdauern aller Schlichtungsstellen.
Es fällt auf, dass die Verfahrensdauer über die vergangenen Jahre immer kürzer geworden ist.
Schluckebier: Ja, so schnell wie heute waren wir in der Vergangenheit nicht. Das hat mehrere Ursachen: Es hat mit der Prozessoptimierung bei uns in der Schlichtungsstelle zu tun. Es ist aber auch der effektiveren Zusammenarbeit mit den Mitgliedsunternehmen zu verdanken. Und nicht zuletzt liegt es an der hohen Bereitschaft der Mitgliedsunternehmen, bei berechtigten Beanstandungen den Kunden auch entgegenzukommen.