Europa vor den Parlamentswahlen: Welche Veränderungen ergeben sich aus der neuen Zusammensetzung?
In einem informativen Diskussionsabend tauschten sich Politiker und Experten über die bevorstehenden Herausforderungen nach den Europawahlen 2024 aus und betonten die Notwendigkeit einer fortschrittlichen Agenda für Europa, um dem größer werdenden Rechtsruck entgegenzuwirken.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) brachte Vertreter des Europäischen Parlaments sowie Experten aus politischen Think Tanks in Brüssel zusammen, um drängende gesellschafts- und wirtschaftspolitische Herausforderungen zu erörtern, mit denen die EU in der kommenden Legislaturperiode konfrontiert sein wird. In der Veranstaltung mit dem Titel "THE NEXT TERM: WHAT ROLE FOR THE EU – WHAT ROLE FOR INSURANCE?" stand erstmal nicht die Rolle der Versicherungswirtschaft im Vordergrund, sondern vor allem die Triebkräfte hinter den politischen Veränderungen, die nach den Wahlen im Sommer 2024 zu erwarten sind.
Zielführende Optionen für eine sinnvolle Wählerstimme
Aktuelle Wahlumfragen, aber auch bereits stattgefundene nationale Wahlen, zeigen den Aufschwung von Parteien aus dem rechten Spektrum. Es ist davon auszugehen, dass auch zu den Europawahlen Vertreter dieser Gesinnung mehr Zuspruch gewinnen. Ein vermeintlicher Grund: der politische Umgang mit anhaltenden Krisen. Sergey Lagodinsky, Mitglied des Europäischen Parlaments für die Grünen, betonte die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Prozesses zur Bewältigung geopolitischer Risiken. Er hob hervor, dass das Ausmaß der sich verändernden politischen Landschaft oft unterschätzt werde. „Wir werden in unserem parlamentarischen Leben eine andere Realität vorfinden. Die Parteien drängen auf mehr Kohärenz, weil sie wissen, dass es um Macht geht.“
René Repasi, Mitglied des Europäischen Parlaments für die Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S&D), warnte davor, dem Aufstieg rechter Parteien zu viel Raum und Aufmerksamkeit zu widmen. Stattdessen sollten wir unsere Kraft auf die notwendigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anpassungen verwenden. Er unterstrich: „Die Klimakrise oder der digitale Wandel befeuern Ängste bei den Bürgerinnen und Bürgern. Anstatt loser Versprechungen müssen wir progressive Optionen anbieten, um den Wählern eine sinnvolle Stimme zu ermöglichen und das in uns gesetzte Vertrauen zurückzuzahlen."
Die EU als Krisenmanager
Antonios Nestoras, Deputy Director des European Liberal Forum, betonte die wachsende Verantwortung der EU als kompetenter Krisenmanager und die Dringlichkeit schneller Reaktion. „Die EU wurde nicht zwangsläufig dafür geschaffen, auf aufeinanderfolgende und anhaltende Krisen zu reagieren. Wir müssen die Arbeitsweise schnell überdenken.“ Mit dem Vormarsch rechtsextremer Parteien sei es wichtiger denn je, dass Verpflichtungen nachgekommen werden und ein positiver Wandel vorangetrieben wird, so Nestoras. Fragen zur Migrationspolitik, der Klimawandel, die Nachwirkungen der Corona-Pandemie oder der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sind einzelne Herausforderungen, die die EU gleichzeitig bewältigen muss. Vor diesem Hintergrund hob Corina Stratulat, Vertreterin des European Policy Centre, die Komplexität der Herausforderungen hervor. „Es ist wichtig, außerhalb von Silos zu denken. Die Parteien der Mitte müssen offen sein und den Wählern klarmachen, dass es nicht nur Win-Win-Situationen gibt." Eine allumfassende und für alle zufriedenstellende Lösung sei nicht möglich, so Stratulat weiter.
Die Europawahl als Wegweiser politischer Entscheidungen
Die Ergebnisse der Europawahl vom 6. bis 9. Juni 2024 werden die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments und damit die politische Agenda auf EU-Ebene in den nächsten 5 Jahren bestimmen. Vor diesem Hintergrund betont der GDV seine Ablehnung von Extremismus und die Bedeutung jeder einzelnen Stimme.
In einer disruptiven politischen Landschaft ist es umso wichtiger, am europäischen Gedanken festzuhalten. Dazu Lenka De Mauro, Head of European and International Affairs beim GDV: „Während wir übermäßige Berichtspflichten oder unverhältnismäßige Regulierung kritisch betrachten, wollen wir unmissverständlich klarstellen: Die Europäische Union ist alles andere als perfekt, aber sie ist zugleich viel zu wertvoll, um in Frage gestellt zu werden.“