„Der Unterschied zwischen einem Naturereignis und einer humanitären Katastrophe ist objektiv betrachtet gutes oder schlechtes Risikomanagement“, sagt Michael Szönyi, Leiter der Zurich Flood Resilience Alliance. Er verwendet bewusst das Wort Naturereignis – „Die Zurich Flood Resilience Alliance und ich vermeiden den Begriff Naturkatastrophe in unserem Wortschatz“, erklärt er. Denn Starkregen, Fluten, Flüsse, die über die Ufer treten: das sind Naturereignisse, die nicht automatisch zu einer humanitären Katastrophe werden. Zwischen ihnen liegt ein Spielraum für menschliche Entscheidungen – die bewusst oder unbewusst gefährliche Auswirkungen haben können. Zum Beispiel, wenn Menschen natürliche Überschwemmungsgebiete versiegeln und dort Wohngebiete bauen. Dann kann ein durch Begradigungen eingeengter Fluss plötzlich zu einer Bedrohung werden, die Infrastruktur zerstört und schlimmstenfalls Menschenleben kostet. Aus dem Naturereignis wird eine vermeidbare humanitäre Katastrophe.
Prävention ist die Mission
Diese Vermeidung, die Prävention von sozialen und finanziellen Schäden durch Hochwasser, ist die Mission der Zurich Flood Resilience Alliance. Vor dem Naturereignis, das potentiell zur Katastrophe wird, fängt sie mit der Arbeit an. Kurzgesagt macht sie Risikomanagement und Entwicklungszusammenarbeit zugleich: sie untersucht die Resilienz einer Gemeinschaft (einer Community) in Hinblick auf Hochwasser und arbeitet gemeinsam mit ihren globalen Partner:innen wie Mercy Corps, Plan International, Practical Action, Concern Worldwide oder der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) daran, sie zu stärken. Für das Untersuchen und Messen der Resilienz nutzt die Alliance das digitale Tool FRMC (Flood Resilience Measurement for Communities) Auf wissenschaftlicher Seite unterstützen außerdem ISET International, die London School of Economics and Political Science (LSE) und das Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA).
Michael Szönyi (Climate Alliance Director) über Vision & Mission der Zurich Flood Resilience Alliance
Zur Mediathek des GDVWas macht Communities verletzlich gegenüber Hochwasser?
Das FRMC kommt seit 2013 in verletzlichen Communities auf der ganzen Welt zum Einsatz, unter anderem in Mexiko, Bangladesch oder Nepal. Verletzlich, oft auch vulnerabel genannt, meint in diesem Zusammenhang, dass die Gemeinschaften Naturereignissen besonders ausgeliefert sind. Michael Szönyi erklärt: „Risiko entsteht aus Exposition, Gefährdung und Vulnerabilität. Es muss eine Naturgefahr geben, zum Beispiel ein Fluss, der immer mal wieder über die Ufer tritt. Dann sind die entscheidenden Fragen: wo lebe ich, wo habe ich gebaut, und wie wohne ich? Das ist eine Art der physischen Verletzlichkeit. Und dann kommt natürlich hinzu, welche Maßnahmen oder Fähigkeiten habe ich, damit umzugehen. Dazu gehören Faktoren wie Bildung und ökonomische Sicherheit.“ Auch finanzielle, geografische, oder sozio-kulturelle Hintergründe beeinflussen also die Verletzlichkeit von Gemeinschaften. Zum Beispiel, weil die Community in einem schwer zugänglichen Gebiet im Dschungel liegt, wo kaum Hilfe hinkommt. Weil die Menschen dort keine Mittel haben, um ihre Häuser besser zu schützen, oder das überschwemmte Gebiet zu verlassen und umzuziehen. Oder vielleicht auch, weil Frauen oder Kinder in ihrem Kulturkreis zum Beispiel nicht das Schwimmen lernen. All diese Merkmale von Vulnerabilität und Exposition der Community sind einige der geeigneten Entscheidungskriterien für den Einsatz des FRMC.
Einblicke in die Arbeit der Zurich Flood Resilience Alliance in Las Nieves, Tabasco, Mexiko
Zur Mediathek des GDVDer Ort Las Nieves befindet sich im mexikanischen Bundesstaat Tabasco, am Golf von Mexiko. Er liegt in der Kurve eines schnell fließenden Flusses und damit in einer gefährlichen Lage. In der Region Jonuta ist die Flood Resilience Alliance seit einigen Jahren mit dem mexikanischen Roten Kreuz tätig. In der ersten Projektphase haben sie die Grundsituation erfasst und eine Beziehung zu den Menschen vor Ort aufgebaut, um herauszufinden: Was wissen sie über den Ort, den Fluss, wie er sich verhält? Was haben die Vorfahren schon über Fluten berichtet? Wie verändern sich die Unwettersituationen vor Ort und die natürliche und gebaute Umwelt? Wie arbeiten die Menschen vor und in einer Krisensituation zusammen? „Wir kommen nie mit einer Schubladenlösung in die Community. Wir nehmen uns 12 oder auch 18 Monate Zeit, um die Stärken und Schwächen zu erfassen und zu verstehen, bevor wir uns gemeinsam mit den Communities an die Umsetzung von Lösungsansätzen machen. In vielen unserer Programme wie auch in Jonuta dauert eine solche ganzheitliche Programmphase in der Regel circa fünf Jahre. Die Erfahrungen, das Leben der Menschen vor Ort ist die Grundlage der Arbeit. Mit dem FRMC erfassen wir alle diese Parameter“, erklärt Michael Szönyi.
Risikomanagement = Resilienzmessung?
Das FRMC kommt seit 2013 in Projekten der Alliance weltweit zum Einsatz. Doch wie kam es überhaupt zu diesem Tool und dem globalen Netzwerk? Nun: Das Analysieren von Risiken und das Abschätzen von finanziellen und anderen Schäden ist das Kerngeschäft der Zurich Versicherung. Bei der arbeitete Michael Szönyi als Risk Engineer, als bei Zurich und Z Zurich Foundation der Wunsch aufkam, ein not-for-profit Programm mit nachhaltigen Auswirkungen zu starten. Michael Szönyi: „Bei der Zurich Versicherung habe ich Risikoelemente für Kunden gemessen, das ist unser Alltagsgeschäft. Von da war der Weg zum FRMC nicht weit – eigentlich kann man sagen: Wir haben die Grundidee, wie man qualitative und quantitative Daten analysiert und misst, aus der Risikobeurteilung der Zurich genommen, angepasst und in die Alliance überführt.“
Michael Szönyi (Climate Alliance Director) über die Idee der Zurich Versicherung
Zur Mediathek des GDVDie Zurich Flood Resilience Alliance arbeitet momentan in ungefähr 300 Communities wie zum Beispiel in Las Nieves, weltweit. Ihre positiven Auswirkungen sind mit dem bloßen Auge zu erkennen. Zum Beispiel in Mexiko: im Zug der Arbeit der Alliance und NGOs vor Ort haben sich Freiwilligengruppen als Gemeinschaftsbrigaden organisiert. Im Krisenfall leiten sie ihre Mitmenschen an, kommunizieren Frühwarnungen und kümmern sich um die Evakuierung. Diese Gemeinschaftsbrigaden wurden 2019 für ihre wichtige Arbeit mit dem National Civil Protection Award ausgezeichnet. Ein weiterer sichtbarer Beweis für die sinnvolle Arbeit der Alliance.