Portrait Dr. Norbert Rollinger: „Versicherer als Paten der Transformation“
Norbert Rollinger ist der neue Präsident des GDV. Der Vorstandsvorsitzende der R+V-Versicherung hat sich einiges vorgenommen, wie unser Portrait zeigt.
Für einen neuen Präsidenten des Versicherungsverbandes könnte es gewiss bessere Startbedingungen geben. Wohin man schaut – überall Krise: Ukrainekrieg, Inflation, Energieknappheit, Naturkatastrophen, neue geopolitische Gefahren. Für Norbert Rollinger sind die Umstände aber kein Grund für Resignation, er begreift sie als Ansporn: „Gerade in diesen unsicheren Zeiten haben wir als Versicherer doch Riesenchancen. Denn bei uns steckt doch schon das Thema Sicherung mit drin.“
Es ist dieser Mutmacher, mit dem sich Rollinger auf der Jahrestagung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) an die Branche wandte, einen Tag nachdem er vom GDV-Präsidium einstimmig als Nachfolger von Wolfgang Weiler an die Verbandsspitze gewählt wurde. Der 58-Jährige ist der 17. Präsident des GDV und der erste an der Spitze der 1948 gegründeten Lobbyvereinigung, der von der R+V Versicherung kommt.
Stationen beim GDV
Im GDV ist Rollinger kein Unbekannter. Bereits 2001 übernahm er erste Aufgaben im Verband: im Lenkungsausschuss für das Zonierungssystem Zürs. Es folgten Stationen in weiteren Ausschüssen: Haftpflicht, Transport, Kraftfahrt, Gewerbe- und Industriekunden. Anfang 2010 zog er schließlich in das übergeordnete Gremium all dieser Expertengruppen ein: den Hauptausschuss Schaden- und Unfallversicherung, der inzwischen Präsidialausschuss Risikoschutz für Gesellschaft und Wirtschaft heißt. Zwei Jahre später, im Juni 2012, übernahm er dessen Vorsitz und erhielt damit automatisch einen Platz im Präsidium des GDV.
In seiner Zeit im Verband hat er an vielen wichtigen Themen mitgewirkt. Dass der Versicherer-Pool für die Berufshaftpflichtversicherung von Hebammen erhalten blieb – trotz jahrelang roter Zahlen in der Sparte –, ist mit sein Verdienst. Ein wichtiges Anliegen war ihm auch die stärkere Verbreitung von Elementarschadenversicherungen, so unterstützte er die Aufklärungskampagne Stadt.Land.unter. Und als der Verband erstmals Musterbedingungen für Cyberversicherungen erstellte, war er ebenfalls in führender Rolle dabei.
Katholik und Karnevalist
Rollinger ist Luxemburger, geboren im Rheinland. In seinem Fall ist das nicht nur eine Herkunfts-, sondern zugleich eine Personenbeschreibung. Er ist Katholik und Karnevalist, unprätentiös und nie um einen lockeren Spruch verlegen. Als er auf einer Jahres-Pressekonferenz des GDV einmal gefragt wurde, wie es um die IT-Sicherheit bei den Versicherern bestellt ist, konterte er mit dem Hinweis, dass die Daten noch auf Mikrofilm im Keller lagern – und damit sicher geschützt vor dem Zugriff von Hackern.
Mit dieser Art eckt er mitunter an, andere schätzen ihn gerade deswegen. Im Verband jedenfalls mögen viele seinen Umgangsstil, führungsstark und zielstrebig auf der einen, locker und nahbar auf der anderen Seite. Vor jeder Jahres-PK nimmt er sich beispielsweise die Zeit, um mit den Kollegen und Kolleginnen aus dem Back-Office zu plaudern und ihnen für die Vorbereitung zu danken. Wobei er eigentlich nie eine ausführliche Vorbereitung braucht. Er steckt in vielen Themen ohnehin gut drin.
Umfassende Expertise
Obgleich Rollinger in seiner Arbeit im Verband bislang nur mit Themen aus der Schaden- und Unfallversicherung befasst war, wäre es falsch, ihn darauf zu reduzieren. Er ist einer, der einen breiten Überblick hat. Das bringt schon sein Job als Vorstandsvorsitzender der R+V Versicherung mit sich – ein Konzern, der in fast allen Sparten unterwegs ist. Ähnlich war es auch bei seinen vorangegangenen beruflichen Stationen, der Axa oder der Generali. Alles Vollsortimenter, wie man im Einzelhandel sagen würde.
Und Rollinger ist auch jemand, der die Themen durchdringen will. Manche führen diese Detailversessenheit auf seine Tätigkeit bei McKinsey zurück – ganz zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn. Als Berater habe er verinnerlicht, dass sich Kunden nur mit Expertise überzeugen lassen. Und so etwas präge, sagt einer, der ihn schon lange kennt.
Branche steht unter Druck
Sein Wissen und seine Erfahrung wird er als GDV-Präsident gut einsetzen können: Der Versicherungssektor steht in vielerlei Hinsicht unter Druck. Da ist zum einen die Versicherung gegen sämtliche Naturgefahren, die die Bundesregierung für Hausbesitzer zur Pflicht machen will – etwas, das die Branche ohne signifikante Fortschritte bei Prävention und Klimafolgenanpassung ablehnt. Eine andere Baustelle ist die staatlich geförderte Altersvorsorge, die seit Jahren praktisch auf der Stelle tritt. Rollinger begreift es als Kernthema und will verhindern, dass die Branche auf diesem Feld abgehängt wird.
Mit einer defensiven Haltung wird es allerdings nicht funktionieren, weiß Rollinger. Die Branche müsse sich selbst hinterfragen und mit neuen Konzepten überzeugen: „Was ist eigentlich das, was wir einbringen können?“ Der GDV-Präsident erwartet kreative Ideen – auch zu anderen Themen, etwa zur Absicherung von Risiken, für die sich der Versicherungsschutz eher schwierig gestaltet. Die Cyberversicherung ist so ein Beispiel dafür. „Wir müssen uns da einfach auch lösen von der klassischen Denke und versuchen, zusammen mit der Rückversicherung, aber vielleicht auch mit dem Kapitalmarkt und der Politik Lösungen zu finden. Damit wir im Spiel bleiben.“
Ziel muss Anschlussfähigkeit sein
Denn das, was ihn und andere in der Branche umtreibt, ist die Sorge vor einem Bedeutungsverlust in der Politik, sollten sich die Versicherer nicht an gesellschaftliche Veränderungen anpassen. „Unser Ziel muss es sein, anschlussfähig zu bleiben“, unterstreicht Rollinger den Anspruch. Die Chancen für eine Profilierung stünden recht gut. Deutschland stehe vor einer Zeitenwende, das bestehende Wirtschaftsmodell funktioniere nicht mehr. „Wir müssen Deutschland neu erfinden“, sagt Rollinger. Und die Versicherer könnten dabei eine wichtige Rolle spielen – als „Paten der Transformation“.
Die Neuerfindung bezieht der Präsident auch auf den Verband selbst. Aus seiner langjährigen Tätigkeit im GDV schätzt er zwar die Gremienarbeit und weiß um den Mehrwert, den der Verband insbesondere für die kleinen und mittelgroßen Versicherer erbringt. Gleichzeitig kennt er aber auch das mitunter zähe Ringen um eine Position. Rollinger wünscht sich da mehr Tempo, er will den Verband digitaler und agiler machen. „Wir können nicht immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner vorantreiben.“
Die Mitgliedsunternehmen will er in dem Prozess mitnehmen und ihnen die Gelegenheit geben, sich mit Vorschlägen einzubringen. „Was sind ihre Ideen? Die sollen mit einfließen in das Programm, das wir in den nächsten Jahren vorhaben“, wirbt Rollinger.