Wie die Versicherer ihre Prozesse zunehmend automatisieren
Die Digitalisierung im Versicherungssektor schreitet voran. Viele interne Abläufe laufen mittlerweile vollmaschinell ab – am stärksten in den Sparten, in denen die Produkte und Abläufe relativ standardisiert sind.
Das Internet hat das Konsumverhalten radikal und dauerhaft verändert. Egal ob es um die Flugbuchung geht, einen Stromvertrag oder das neue Handy: Die Menschen kaufen Produkte oder Dienstleistungen immer häufiger und in vielen Fällen sogar ausschließlich online. Und sie erwarten, dass auch ihre sonstigen Anliegen online abgewickelt werden. Für die Unternehmen heißt das: Sie müssen ihren Geschäftsbetrieb so weit digitalisieren, dass er von der Bestellung, über die Lieferung bis hin zum Service weitgehend integriert und automatisiert abläuft.
Dieser Trend macht sich auch in der Versicherungswirtschaft immer stärker bemerkbar. Nachdem die Automatisierung in der Branche anfangs nur zögerlich vorankam, haben nicht zuletzt die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns den Prozess beschleunigt. Das belegt die sogenannte Dunkelverarbeitungsquote, die der GDV für den Sektor erhebt und die zuletzt stark gestiegen ist. Am deutlichsten in den Versicherungssparten, in denen die Produkte und Abläufe relativ standardisiert sind. So haben die Sach- und Unfallversicherer 2023 bereits ein Drittel (33,5 Prozent) ihrer Geschäftsprozesse automatisiert abgewickelt. Vier Jahre zuvor lag der Anteil erst bei 23 Prozent. Auch in der Krankenversicherung läuft mittlerweile fast ein Drittel der Prozesse vollmaschinell ab.
Hinter dem Begriff Dunkelverarbeitungsquote verbergen sich Geschäftsprozesse wie der Neuantrag oder die Policierung von Versicherungen, die Änderung von Vertragsdaten oder die Abwicklung von Schäden oder Vertragskündigungen. Und auch wenn Dunkelverarbeitung ein wenig nebulös klingt, ist genau das Gegenteil der Fall: Es sind klar strukturierte Abläufe, die automatisierte Prüfmechanismen enthalten und die sich dank eindeutiger Eingaben fehler- und widerspruchsfrei digitalisieren lassen. In einem Tempo und einer Größenordnung, die ein einzelner Mensch nicht bewältigen könnte.
Automatisierung geht mit Digitalisierung des Vertriebs einher
Ein gutes Beispiel dafür ist der Abschluss einer Kfz-Versicherung. Die für die Tarifierung nötigen Daten wie Fahrzeugmodell, Alter oder jährliche Fahrleistung lassen sich problemlos online abfragen. Der Algorithmus ermittelt anhand der Eingaben in Sekundenschnelle die Versicherungsprämie, nach dem Abschluss erhält die Kundin automatisch die Auftragsbestätigung. Es überrascht kaum, dass die Automatisierung der Geschäftsabläufe bei den Versicherern stark mit der Digitalisierung des Vertriebs einhergeht: Rund jeder fünfte Versicherungsvertrag (19,1 Prozent) wird inzwischen ohne das Zutun eines Menschen abgeschlossen, in der Kfz-Versicherung liegt der Anteil bei knapp einem Viertel (24,1 Prozent).
Um auch die Interaktion mit den Kunden in ihre automatisierten Prozessketten einzubinden, bauen immer mehr Versicherer zudem digitale Kommunikationskanäle auf. Gut ein Fünftel (22 Prozent) der Kommunikation läuft mittlerweile über ein Kundenportal – eingebunden in einer Webseite oder einer Versicherungs-App, wo beispielsweise auch Vertragsunterlagen abgelegt sind. 2019 lag der Anteil erst bei zehn Prozent. E-Mails mit eingerechnet, die schon länger eine große Relevanz haben, werden heute bereits drei Viertel der Anliegen von Versicherten digital abgewickelt.
Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) wird die Automatisierung im Versicherungssektor in Zukunft noch zunehmen. Denn damit lassen sich nicht nur standardisierte Prozesse automatisieren. Die Technologie ist auch in der Lage, komplexere, unstrukturierte Sachverhalte zu bearbeiten. KI wird beispielsweise in der Bearbeitung von Kundenanfragen, der Schadenabwicklung oder auch Betrugserkennung eingesetzt – bis hin zum Risikomanagement und der Tarifierung.
Künstliche Intelligenz birgt weiteres Potenzial für Automatisierungen
Angesichts der vielen Einsatzmöglichkeiten zählt der Ausbau von KI-Anwendungen mit zu den Themen, denen das Management in den Versicherungsunternehmen perspektivisch die höchste Bedeutung beimisst – neben Cybersicherheit, Regulatorik und der Automatisierung einfacher, wiederholbarer Arbeiten (Robotics Process Automation, RPA). Während die Automatisierung regelbasierter Aufgaben in den Unternehmen schon weit fortgeschritten ist, haben KI-Anwendungen noch nicht die vergleichbare Relevanz in der Praxis. Sie sind zwar leistungsfähiger, die Systeme müssen allerdings erst trainiert werden, was länger dauert und aufwendiger ist. Und vor allem gute Daten voraussetzt.
Mit beidem – mehr Automatisierung und mehr KI – kann es den Versicherern darüber hinaus gelingen, den demografisch bedingten Schwund an Arbeitskräften abzufedern – ein Problem, vor dem viele Branchen stehen. Laut einer aktuellen Berechnung des IW Köln gehen bis 2036 etwa 19,5 Millionen Babyboomer in den Ruhestand, ihnen folgen lediglich 12,5 Millionen jüngere Beschäftigte nach. Während einige Branchen – etwa im sozialen Bereich – kaum Möglichkeiten haben, Menschen durch Maschinen zu ersetzen, sieht das im Finanzsektor anders aus. Versicherer können ihre Beschäftigten von Routineaufgaben entlasten und die knapper werdende Ressource Mensch dort einsetzen, wo sie am meisten gebraucht wird, etwa in der individuellen Kundenberatung.
In einem für die digitale Transformation wichtigen Bereich sind die Versicherer aber auch schon mit einem Fachkräftemangel konfrontiert. Die Altersstruktur ihres IT-Personals gleicht der der Gesamtbevölkerung. Die über 56-Jährigen sind mittlerweile die größte Gruppe, gefolgt von der Altersgruppe 46 bis 55 Jahre. In den vergangenen Jahren hat sich die Belegschaft kaum verjüngt, obwohl die Zahl der IT-Beschäftigten gestiegen ist – 2023 gar um sechs Prozent. Die neuen Mitarbeiter sind internationaler und weiblicher, aber nicht unbedingt jünger als der Durchschnitt der Belegschaft. Die Gewinnung neuer Talente und der Know-how-Transfer von Alt zu Jung bleib daher eine Herausforderung für die Versicherer – und ist letztendlich ein Erfolgsfaktor für die digitale Transformation.