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Klima

„Weg von der reinen Gefahrenabwehr hin zu einer Risikokultur“

Zur Klimafolgenanpassung braucht es ein Gesamtkonzept, keine sektoralen Lösungen, sagt Dörte Aller von der Schweizer außerparlamentarischen Kommission Nationale Plattform Naturgefahren. Im Interview spricht sie über die Strategie ihres Landes.

Karsten Röbisch (© Christian Kruppa / GDV)
Karsten Röbisch
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© Christian Kruppa / GDV

Dörte Aller ist Präsidentin der Nationalen Plattform Naturgefahren in der Schweiz. Sie berät die Regierung zum richtigen Umgang mit Risiken aus Naturgefahren.

Frau Aller, die Schweiz gilt vielen hierzulande als Vorbild in Sachen Klimafolgenanpassung. Sie kommen aus der Schweiz. Würden Sie sagen, ihr Land verdient die Lorbeeren?
Dörte Aller: Wenn man das eigene Land anschaut, ist man eigentlich nie am Ziel. Ich glaube, auch wir haben bei der Klimafolgenanpassung noch viel zu lernen und zu tun. Wir haben aber gemerkt, dass die Konzepte, die wir in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben, ein gutes Hilfsmittel sind, um damit umzugehen.

Wie genau sehen ihre Konzepte aus?
Aller:
In den 1990er-Jahren haben wir gemerkt, dass sektorale Lösungen uns nicht zum Ziel führen. Wir setzen seitdem auf ein integrales Risikomanagement, das ist der Kern unserer Strategie. Es geht immer um drei Fragen. Was kann passieren? Was darf passieren? Was ist zu tun? Also: Wie hoch könnte zum Beispiel das Wasser in Zukunft stehen und wen würde es wie betreffen? Und wäre es noch tragbar? Und wenn es nicht tragbar wäre, überlegt man sich, was zu tun ist. Denn wir wollen weg von der reinen Gefahrenabwehr hin zu einer Risikokultur. Und dann gibt es auch nicht die eine optimale Maßnahme. Es ist vielmehr ein schrittweiser Prozess, für den alle Beteiligten einbezogen werden müssen.

Ist dieses integrale Konzept auch die Grundidee hinter der Nationalen Plattform Naturgefahren (PLANAT), der neben Ihnen Expertinnen und Experten verschiedener Fachdisziplinen angehören?
Aller:
Genau, so ist die PLANAT entstanden. Man hat gemerkt, dass sektorale Maßnahmenplanung nicht ausreicht. Aus dem Grund haben sich einige Leute aufgemacht. Vor 25 Jahren hat man einen Rahmen dafür gesucht und die außerparlamentarische Kommission eingerichtet. Das sind in der Schweiz beratende Organe. Wir sind direkt vom Bundesrat beauftragt, er ist bei uns die Regierung. Heute sind verschiedene Staatsebenen, Fachrichtungen und Private vertreten wie Wasserbau- und Forstingenieurwesen, Raumplanung, Versicherung, Meteorologie, Forschung, Bevölkerungsschutz und der private Sektor. Gemeinsam suchen sie zukunftsfähige Lösungen.

Wie wird aus Ihren Ideen reale Politik?
Aller:
Wir können natürlich nichts befehlen, sondern nur beraten und Empfehlungen abgeben. Deshalb wurden wir ja auch beauftragt, eine Strategie zum Umgang mit Risiken aus Naturgefahren zu erstellen. Wenn diese gelebt wird, fließt sie auch in Gesetzestexte mit ein. Das sehen wir beispielsweise beim Wasserbaugesetz: Es nimmt konkret Bezug auf unsere Strategie und das darin enthaltene integrale Risikomanagement. „Risikobasiert“ wird nun auch im Wasserbaugesetz verankert.

Machen wir es mal etwas konkret: In ihrem Strategiekonzept heißt es beispielsweise, dass Räume in Gebäuden so genutzt werden sollen, dass Naturgefahren möglichst wenig Schäden anrichten können. Findet sich dafür auch eine Entsprechung im Baugesetz?
Aller:
Das liegt bei uns in der Hoheit der Kantone. Sie sind verpflichtet, Gefahrenkarten zu erstellen, aus denen hervorgeht, wie stark die Naturgefahrengefährdung vor Ort ist. Und diese Erkenntnisse sind auch in der Bauordnung zu berücksichtigen. Wenn also jemand bauen oder umbauen will, wird geschaut, ob der Standort in einem gefährdeten Gebiet liegt. Und dann gibt es entsprechende Bauauflagen. Und wo die Gefährdung sehr hoch ist, gilt grundsätzlich ein Bauverbot. Das spiegelt sich auch in der Raumplanung wider. Neue Baugebiete in besonders gefährdeten Gebieten zu erschließen, ist in der Schweiz nicht mehr möglich. Wir haben uns darauf verständigt, keine neuen, inakzeptablen Risiken zu schaffen.

Sie sagen „grundsätzlich“ darf nicht gebaut werden. Gibt es auch Ausnahmen?
Aller:
Ja, die gibt es. Auch das ist eine wichtige Erkenntnis unserer Arbeit: Dass man differenziert. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Nutzung nur an einem Ort funktioniert und man nachweisen kann, dass – eventuell auch mit einem entsprechend großen Aufwand – ein hohes Schutzniveau möglich ist, dann kann man das diskutieren. Und es macht auch einen Unterschied, ob es nur um mögliche Sachschäden geht oder auch Menschenleben gefährdet wären, oder ob es sich um kritische Infrastruktur handelt. Sobald es aber um sehr starke Naturgefahren geht, gibt es keinen Spielraum mehr.

Für eine wirksame Prävention ist das Zusammenspiel auf mehreren politischen Ebenen nötig. In Deutschland – mit seinem föderalen System – sind die Interessen von Bund, Ländern und Kommunen nicht immer deckungsgleich. Die Schweiz hat ebenfalls ein föderales System. Ziehen da alle an einem Strang?
Aller:
Eigentlich schon. Es ist natürlich immer ein Ringen um den Konsens. Das macht den Risikodialog aber auch aus: Dass man möglichst frühzeitig die betroffenen Akteure ins Boot holt und versucht, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln von dem, was passieren kann beziehungsweise darf. Dazu muss man frühzeitig ins Gespräch kommen und herausfinden, was die Anliegen sind.

Die Schweiz hat – anders als Deutschland – eine Pflichtversicherung für Elementarschäden, etwa durch Hochwasser oder Starkregen. Was ist bei Ihnen anders?
Aller:
Wir haben die Pflichtversicherung für diverse Naturgefahren schon recht lange, je nach Kanton entweder über einen staatlichen Monopolisten oder über private Anbieter. Die jeweiligen Versicherungen haben Solidargemeinschaften gebildet. Dass wir die Versicherung haben, ist aus meiner Sicht auch ein Beleg dafür, dass es eben einen ganzen Instrumentenkasten benötigt, um eine angemessene Sicherheit zu erreichen. Die Pflichtversicherung ist nur ein Baustein von vielen. Die Versicherer brauchen ihrerseits die Gewissheit, dass der Staat für Schutz sorgt, wo das sinnvoll ist, und dass sich auch die Hauseigentümer schützen, dass die Feuerwehr funktioniert, der Zivilschutz. Das muss alles miteinander abgestimmt werden – auch auf strategischer Ebene. Eine Pflichtversicherung allein wäre keine Lösung. Man kann nicht alles bei den Versicherern abladen.

Sind denn die Versicherer zufrieden mit dem, was an Prävention und Risikovorsorge getan wird?
Aller:
Natürlich ist man nicht immer überall zufrieden. Es ist aber auch ein kontinuierlicher Prozess. Gerade mit Blick auf den Klimawandel wird es immer wichtiger, neue Gefahren frühzeitig zu erkennen und entsprechend die Prioritäten im Umgang mit den Risiken zu setzen. Zudem haben die Versicherer den Schweizer Ingenieur- und Architekten-Verband aufgefordert, ihre Baunormen dahingehend anzupassen. Auch die Feuerwehren richten sich immer mehr auf die Naturgefahren aus, es ist also ein gemeinsames Weiterentwickeln. Und ich glaube, nur so funktioniert es.

Was die Schweiz im Unterschied zu Deutschland auch hat, ist ein nationales Naturgefahren-Portal. Welche Rolle spielt es in ihrem Gesamtkonzept?
Aller:
Der Fokus liegt dort auf der Informationsvermittlung. Es warnt vor Unwettern und enthält Tipps, wie man sich im Ernstfall verhalten sollte. Daneben gibt es aber noch andere Webseiten – von den Versicherungsverbänden, dem Hauseigentümer-, Ingenieur- und Architekten Verein und einem Bankenverband –, da geht es eher um bauliche Schutzmaßnahmen. Das Wissen über verschiedene Naturgefahren zu verbreiten, ist es ein wichtiger Teil unserer Strategie. Denn es trägt zur Bewusstseinsbildung bei. Deswegen gibt es auch die Hochwasser-Gefahrenkarten der Kantone, und deswegen auch die Oberflächen-Abflusskarten, die als öffentlich-private Partnerschaft zwischen den Versicherungen und dem Bund entstanden sind und die die Starkregengefährdung abbilden. Diese Karten stehen allen im Internet zur Verfügung.

Auch da ist Deutschland längst noch nicht so weit. Welchen Rat hätten sie abschließend denn für uns?
Aller:
Viel Dialog führen, das ist unsere Erfahrung. Aufeinander zugehen, rausfinden, was den anderen bewegt, was seine Ziele sind. Und dann versuchen, gemeinsam eine zukunftsfähige Lösung zu entwickeln.