„Die Zwangsverrentung ist keine Entmündigung“
Eine Rentenversicherung schützt Menschen vor dem Risiko, dass das Geld vor dem Tod weg ist – und sollte auch bei der Reform der privaten Altersvorsorge erhalten bleiben, sagt Fachmann Jochen Ruß. Mehr Flexibilität sei aber durchaus wünschenswert.
Herr Ruß, abgesehen von der Teilauszahlung zu Rentenbeginn ist bei Riester der Kapitalverzehr an die Verrentung geknüpft. Ist das noch zeitgemäß?
Jochen Ruß: Die staatlich geförderte Altersvorsorge soll Menschen helfen, ihren Lebensstandard im Alter zu finanzieren. Und der besteht zum größten Teil aus regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben bis zum Tod. Doch niemand weiß, wie lange er lebt. Und diese Unsicherheit, nicht zu wissen, ob ich die regelmäßigen Ausgaben bis 70, 80 oder 100 habe, wird über eine lebenslange Rente abgedeckt. Daher ist diese Regelung bei Riester durchaus sinnvoll und sollte bei der staatlich geförderten Altersvorsorge beibehalten werden, auch wenn es in anderen Punkten Reformbedarf gibt.
Kritiker sehen im Verrentungszwang eine Bevormundung der Menschen und hätten die Regelung im Zuge der geplanten Reform gern abgeschafft.
Ruß: Die Zwangsverrentung ist keine Entmündigung, sondern eine Anerkennung der Tatsache, dass niemand weiß, wie alt er wird und wie lange sein Geld reichen muss. Wer lebenslange Ausgaben hat, braucht ein lebenslanges Einkommen. Natürlich gibt es vermögende Menschen, denen das Geld reicht, egal wie lange sie leben. Aber das ist eher die Minderheit. Die Mehrheit hat hingegen das Risiko, dass ihnen das Geld ausgeht, wenn sie sehr alt werden.
Das angesparte Kapital ließe sich doch auch anders verbrauchen, beispielsweise über einen Fondsentnahmeplan. Wäre das keine Alternative?
Ruß: Durchaus. Man kann das Ersparte auch in einen Fonds legen und jeden Monat einen Betrag entnehmen – so, dass es bis zu einem bestimmten Alter reicht. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann vorsichtig kalkulieren und ein sehr hohes Lebensalter unterstellen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Geld ausgeht, sehr klein, die Monatsrate aber eben auch. Oder man kalkuliert nur bis zu seiner statischen Lebenserwartung – eventuell zuzüglich eines Sicherheitspuffers: Dann kann man monatlich relativ viel Geld entnehmen, allerdings mit einem größeren Risiko, länger zu leben als das Geld reicht.
Können Sie das konkret machen?
Ruß: Nehmen wir an, ein Verbraucher hat zu Rentenbeginn 100.000 Euro, die er bis zum Tod aufbrauchen möchte. Seine statistische Lebenserwartung liegt bei 85 Jahren, er kalkuliert aber vorsichtiger bis zum Alter 90. Bei einer angenommenen konstanten Fondsrendite von sechs Prozent pro Jahr könnte er aus einem Fondsentnahmeplan monatlich 632 Euro entnehmen, ehe das Geld aufgebraucht wäre. Das sind rund 50 Prozent mehr, als er beim besten Versicherer als lebenslange Rente bekäme.
Das klingt verlockend.
Ruß: Das stimmt. Allerdings liegt das Risiko bei ungefähr zwei Drittel, dass das Geld vor dem Alter von 90 Jahren aufgebraucht ist.
Wieso? Ich denke, die Rate ist auf ein Alter von 90 kalkuliert?
Ruß: Ja, aber unter der Annahme einer konstanten Fondsrendite. In der Realität gehen attraktive Renditen allerdings mit zwischenzeitlichen Wertschwankungen einher. Und unter Berücksichtigung von marktüblichen Schwankungen ergibt sich ein beachtliches Risiko, dass das Geld vor dem Tod aufgebraucht ist. Das muss man sich bewusst machen: Man glaubt, man kalkuliert mit einem Alter von 90 sehr vorsichtig. Das Schwankungsrisiko führt allerdings dazu, dass das vermeintlich vorsichtige Modell eben Risiken birgt. Wie bereits gesagt, reicht es mit einer Wahrscheinlichkeit von rund zwei Drittel nicht bis zum „vorsichtig“ kalkulierten Alter von 90 Jahren. Und nur mit einer Fifty-Fifty-Chance bis zum Todeszeitpunkt, wenn man Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes zugrunde legt.
Umgekehrt kann ich mit einem Fondsentnahmeplan noch Geld vererben, falls ich früh sterbe. Bei lebenslangen Renten geht das nicht.
Ruß: Stimmt. Fondsentnahmeplänen haben auch Vorteile. Einer ist das höhere Renditepotenzial, der andere, dass es eben mein persönliches Geld bleibt, das ich an meine Hinterbliebenen vererben kann. Und weil der Fondsentnahmeplan eben Vor- und Nachteile hat, ist das Produkt nicht besser oder schlechter als eine lebenslange Rente. Es ist nur für manche finanziellen Ziele besser geeignet als für andere. Für die Absicherung des Lebensstandards bis zum Tod – und hierum geht es ja in der staatlich geförderten Altersvorsorge primär – ist nun mal eine lebenslange Rente besser geeignet.
Wäre es vielleicht sinnvoll, die Vorteile beider Produkte – lebenslange Leistung der Rentenversicherung, höhere Ertragschancen des Fondsentnahmeplans – miteinander zu verbinden, wenn es um die Reform der geförderten Altersvorsorge geht?
Ruß: Das kann man sehr wohl und das sollte man meiner Meinung nach auch tun. Das Renditepotenzial chancenreicher Anlagen bietet ja auch einen gewissen Inflationsschutz. Und die Inflation hört nicht auf, nur weil man in Rente geht. Gleichzeitig lässt sich auch bei chancenreicherer Kapitalanlage der Versicherungsmechanismus – die Umverteilung der Gelder von denen, die früh sterben, an diejenigen, die länger leben – beibehalten. Dann landet man bei Rentenversicherungen, die auch in der Auszahlphase zumindest teilweise noch fondsgebunden sind. Das höhere Chancenpotenzial führt aber dazu, dass die garantierte Rente etwas geringer ausfällt. Bei vielen sinnvollen Produktdesigns kann dann die tatsächlich bezahlte Rente oberhalb des garantierten Niveaus schwanken. Doch das ist bislang bei der Riesterrente explizit ausgeschlossen. Aus meiner Sicht sollte man das überdenken und in Zukunft sehr genau überlegen, welcher Ausschnitt der möglichen Produktvielfalt lebenslanger Renten bei staatlich geförderten Produkten zugelassen wird.