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Nachhaltigkeit

Klimawandelszenarien im ORSA: Einblick in die Praxis

Als Risikoträger und Investoren müssen Versicherungsunternehmen den Risiken des Klimawandels vorausschauend begegnen. Klimawandelszenarien sind verpflichtender Teil ihres „Own Risk and Solvency Assessment“ (ORSA). In der Praxis ist dies eine schwierige Aufgabe – die Unsicherheit in den Modellen und in den Grundlagen der Analyse ist hoch. Dennoch lohnt sich nach Ansicht von Experten aus zwei Unternehmen die Szenarioanalyse.

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© unsplash

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat mögliche Ansätze für „Klimawandelszenarien im ORSA“ erarbeitet und veröffentlicht (Deutsch/ Englisch). Von ihren konkreten Erfahrungen mit den Szenarioanalysen und den damit verbundenen Schwierigkeiten berichteten Dr. Lars Allermann (R+V Versicherung) und Dr. Ursula Aumüller (Swiss Life Deutschland) in einem englischsprachigen Webinar für Interessierte aus europäischer Politik, Aufsichtsbehörden, Verbänden und NGOs. Von Seiten des Verbandes haben außerdem Dr. Thiemo Hustedt, Dr. Linda Michalk und Dr. Wolfgang Reichmuth mitgewirkt. 

Klimaszenarien zeigen mögliche Entwicklungen - diese können unterschiedlich ausfallen

Szenarien stellen keine Prognosen mit bestimmten Eintrittswahrscheinlichkeiten dar. Mit ihnen werden verschiedene Möglichkeiten durchgespielt, wie sich die Zukunft entwickeln könnte und was das für das eigene Unternehmen bedeuten würde. Gut geeignet sind dafür die Szenarien des Network for Greening the Financial System (NGFS), in dem sich weltweit Zentralbanken und Aufsichtsbehörden zusammengeschlossen haben. Die Szenarien reichen von einer weiter ungebremsten Erderwärmung (Hot House World) bis zu einer Begrenzung des Temperaturanstiegs bei 1,5 °C im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen. Die dafür nötige Transition könnte geordnet oder ungeordnet verlaufen. 

Physische Risken des Klimawandels zeigen sich besonders im Current-Policies-Szenario, das in eine Hot House World führt. Für die Untersuchung von Transitionsrisiken stellt das Delayed-Transition-Szenario eine gute Möglichkeit dar. 

Lange Zeiträume zu untersuchen, kann „Zeitreisen“ der Unternehmen erfordern 

Betrachtet werden Zeiträume bis 2050 oder sogar 2100. Aber was für Versicherungen werden dann abgeschlossen, welche Kapitalanlagen gibt es? Damit nicht willkürliche Annahmen die Ergebnisse dominieren, bietet sich ein Stresstest-Ansatz an. Dabei wird das Unternehmen in seiner heutigen Form in einer Art „Zeitreise“ in die Zukunft versetzt. In der Realität hätte man bei negativen Entwicklungen natürlich längst umgesteuert, aber so wird deutlich, wo künftig Anpassungen nötig werden könnten. 

Eine weitere Herausforderung ist die enorme Unsicherheit der künftigen Entwicklungen. Verschiedene quantitative Analysen durchzuführen, kann hilfreich sein. Daneben sind aber auch qualitative Analysen wichtig, um Einzelergebnisse einordnen zu können und ein gutes Gesamtbild zu erhalten. Dafür ist es wichtig, dass die Unternehmen Methodenfreiheit haben, um ausgehend von ihrem eigenen Risikoprofil ihre wesentlichen Risiken identifizieren und analysieren zu können. 

Auf der Suche nach Daten 

In Bezug auf physische Risiken ist durch die weltweite Klimaforschung sehr viel Wissen verfügbar. Wie Dr. Allermann betonte, heißt das aber noch nicht, dass dies den Bedürfnissen eines Schaden-/Unfallversicherers gerecht werde. Zum einen könnte sich der Klimawandel auf regionale und lokale Naturgefahren sehr unterschiedlich auswirken. Es mangele immer noch an entsprechend detaillierten Daten. Zum anderen wären für Versicherer nicht nur im Mittel erwartete Ereignisse, sondern gerade auch die sehr unwahrscheinlichen Tail-Events relevant (in Solvency II: das 200-Jahres-Ereignis). 

Dr. Aumüller erläuterte, dass auch bei Lebensversicherungen gewisse, teils gegenläufige Effekte des Klimawandels, z. B. auf Sterblichkeiten, denkbar sind. Sie sind aber ungewiss und auch von den Reaktionen der Menschen abhängig. Insgesamt sind hier auf absehbare Zeit keine dramatischen Effekte zu erwarten. 

Bei den Kapitalanlagen fehlt es ganz klar an detaillierten Daten. Einzelne Branchen und Unternehmen werden völlig unterschiedlich von der Transformation der Wirtschaft betroffen sein. In dem GDV-Papier wird ein Weg aufgezeigt, um Transitionsrisiken für die Kapitalanlagen zumindest auf Branchenebene analysieren zu können. Künftig wäre es wichtig, klar zwischen grünen und braunen Teilbereichen unterscheiden zu können. Um einzuschätzen, ob bei einzelnen Kapitalanlagen womöglich Stranded Assets drohen, wären aber auch Transitionspläne der jeweiligen Unternehmen relevant. 

Szenarioanalysen helfen 

Am Ende besteht Einigkeit: Die Analyse von Klimawandelszenarien ist nicht allein entscheidend, stellt aber – trotz aller Unsicherheiten – auf jeden Fall einen wichtigen Teil der Nachhaltigkeitsüberlegungen im Unternehmen dar. Aus ihnen könnten auch konkrete Schlussfolgerungen gezogen werden, beispielsweise wie wichtig es sei, sich breit aufzustellen (z. B. nicht nur NatCat-Geschäft, gut diversifizierte Kapitalanlagen) oder in Bezug auf Rückversicherung und ähnliche Instrumente. Vor allem würden die Analysen aber auch helfen, die Transparenz über die möglichen Auswirkungen für das Topmanagement zu steigern. 

Die Umsetzung der Szenarioanalysen wird in den Unternehmen fortlaufend weiter entwickelt. Das Augenmerk wird dabei weiter vor allem auf den besonders nachteilig verlaufenden Szenarien und den sich dort zeigenden Risiken liegen. Zu wünschen wäre stattdessen aber – wie für die ganze Welt, so auch aus Versicherungssicht – eine geordnete Transition. Mit ausreichenden, rechtzeitigen und systematischen Maßnahmen könnte es gelingen, sowohl physische als auch Transitionsrisiken zu begrenzen. 

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