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Schaden & Unfall

Die Neuvermessung der Risiken

Inflation, wirtschaftliche Unsicherheit, geopolitische Verwerfungen: Industrie und Versicherer kämpfen derzeit mit den gleichen Problemen. Daraus resultieren aber unterschiedliche Wünsche, was teils zu Spannungen zwischen beiden Seiten führt.

Karsten Röbisch (© Christian Kruppa / GDV)
Karsten Röbisch
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© Ant Rozetsky / Unsplash

Das Verhältnis zwischen den Versicherern und der Industrie gleicht für viele einem Metronom, das hin und her pendelt. Mal klagen die Versicherer über ruinöse Preise und wenig Verhandlungsspielraum – die Rede ist dann von einem weichen Markt –, mal stöhnt die Industrie über fehlenden Versicherungsschutz zu akzeptablen Preisen – Merkmale eines sogenannten harten Marktes.   

Nimmt man aktuelle Äußerungen als Maßstab, dann scheint der Markt derzeit eher hart zu sein, jedenfalls nicht so weich, wie es die Industrie gern sähe. Denn in ihren Augen lässt die Assekuranz ihre Muskeln spielen, was so viel bedeuten soll wie: höhere Prämien, höhere Selbstbehalte, mehr Risikoausschlüsse oder geringere Deckungssummen. „Es gibt eine Menge Herausforderungen, die dazu führen, dass die Kapazitäten gekürzt werden“, sagt Antje Beck vom Gesamtverband der Versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW), dem VersicherungsMonitor.  

Komplexere Risikolage für Industrie und Versicherer

Für Anja Käfer-Rohrbach ist die aktuelle Situation jedoch nicht das Ergebnis einer härteren Gangart der Versicherer, sondern der komplexeren Risikolage geschuldet: „Volatile Märkte, wirtschaftliche Unsicherheiten, geopolitische Verwerfungen – diese Punkte betreffen uns Versicherer genauso wie den Rest der Wirtschaft“, sagt die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „In ihrer Funktion als Frühwarnsystem reagieren Versicherer sehr sensibel auf neue Risiken und steigende Schäden.“ Schließlich sei es ihre Aufgabe, Gefahren angemessen zu bepreisen. 

Anja Käfer-Rohrbach (© Christian Kruppa / GDV)
„Wenn Versicherer unter diesen Bedingungen ihre Geschäftspolitik überdenken, ist das nachvollziehbar.“
Anja Käfer-Rohrbach, Stellv. GDV-Hauptgeschäftsführerin

In den vergangenen Jahren hatten die Industrieversicherer gleich mehrere Male Anlass, die Gefahren neu zu bewerten: Erst legte die Corona-Pandemie offen, wie global verwoben und zugleich fragil die Lieferströme sind. 2021 dann verheerte die Juli-Flut Teile Westdeutschlands, fast die Hälfte des Gesamtschadens von rund 8,5 Milliarden Euro entfiel auf Gewerbe- und Industrieunternehmen. Und seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stellen sich auch die geopolitischen Risiken anders dar als zuvor. „Wenn Versicherer unter diesen Bedingungen ihre Geschäftspolitik überdenken, ist das nachvollziehbar“, so Käfer-Rohrbach.  

Druck von mehreren Seiten

Zumal auch die Versicherer von mehreren Seiten unter Druck stehen. Die Politik fordert von ihnen einen Beitrag zur grünen Transformation und eine schrittweise Abkehr von fossilen Industrien. Die Aufsicht wiederum mahnt zur Besonnenheit im Neugeschäft und dazu, die Risiken nicht aus dem Blick zu verlieren. Und insbesondere auch auf sogenannte stille Risiken zu achten – also solche, die im Versicherungsschutz zwar irgendwie enthalten, aber nicht einkalkuliert sind. Gleichzeitig laufen den Versicherern angesichts der hohen Inflation die Kosten davon, während ihre Anteilseigner auf Rentabilität und stabile Erträge pochen.  

Wie sehr Versicherer und Industrie angesichts veränderter Rahmenbedingungen miteinander ringen, lässt sich beispielsweise an der Cyberversicherung ablesen – ein Marktsegment, das noch sehr jung ist, dem aber in Zukunft angesichts der Digitalisierung eine immer größere Bedeutung zukommt. Nachdem die Versicherer in der Anfangszeit kaum Schäden verzeichneten, kippte der Markt 2021: Etliche Hackerangriffe führten zu hohen Schäden, die Cyber-Versicherer rutschten in die Verlustzone. Seitdem agieren sie im Underwriting vorsichtiger und verlangen bessere IT-Sicherheitsmaßnahmen, die vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen häufig noch mangelhaft sind. Wer ein hohes Schutzniveau nachweisen könne, habe auch jetzt keine Probleme, Versicherungsschutz zu finden, so die GDV-Geschäftsführerin. 

Firmen suchen Alternativen zur Versicherung

Manchen Unternehmen reicht das Angebot jedoch nicht aus. Sie gehen andere Wege des Risikotransfers, beispielsweise über Eigenversicherungen – Captives genannt. „Die Mehrheit der Captives deckt immer noch die traditionellen Sachsparten ab. Darüber hinaus werden auch neue Risiken wie Cyberrisiken mittels Captives versichert, weil die Versicherungswirtschaft im Moment nicht jedem Unternehmen und Risikomanager die gewünschten Kapazitäten und Deckungen offerieren kann“, sagt Bijan Daftari, verantwortlich für das Deutschland-Geschäft beim Industrieversicherer Swiss Re Corporate Solutions.  

Jüngstes Beispiel für solch eine Neugründung ist der Cyberversicherer Miris, der in diesem Jahr seinen Geschäftsbetrieb aufgenommen hat und an dem unter anderem Airbus oder BASF beteiligt sind. Laut Ratingagentur Morningstar gibt es weltweit rund 6.000 Captives, davon circa 50, die deutschen Unternehmen gehören oder an denen sie beteiligt sind. Aus steuerlichen und regulatorischen Gründen sind nur wenige in Deutschland angesiedelt. Unter Kontrolle der deutschen Finanzaufsicht BaFin stehen beispielsweise nur acht Captives, darunter die Eigenversicherer von BASF, Bayer oder der Lufthansa. 

Interesse an Eigenversicherungen wächst

Solche Captives könnten in Zukunft eine größere Rolle spielen. Laut einer Umfrage des Verbandes Europäischer Risikomanager (Ferma) von 2022 kann sich fast die Hälfte der Befragten vorstellen, Captives zu nutzen, vier Jahre zuvor lag der Anteil erst bei 15 Prozent. Auch Daftari von Swiss Re glaubt an das Wachstum von Eigenversicherern: Captives erfreuten sich aufgrund der Marktlage zunehmender Relevanz und Nachfrage. 

„Captives sind keine Konkurrenz, sondern eine Bereicherung.“
Anja Käfer-Rohrbach, Stellv. GDV-Hauptgeschäftsführerin

Einige werten diese Entwicklung bereits als Indiz für einen Bedeutungsverlust der Assekuranz, dem widerspricht Käfer-Rohrbach jedoch: „Captives sind keine Konkurrenz, sondern eine Bereicherung.“ Gleiches gelte für andere alternative Formen des Risikotransfers wie beispielsweise Katastrophenbonds. „Sie ergänzen die Industrieversicherung, ersetzen sie aber nicht.“ Zumal auch der Kapitalmarkt Risiken nicht unbegrenzt aufnehmen könne, weder als klassische Rückversicherung noch als Katastrophenbonds. 

Ob Versicherung oder alternativer Risikotransfer: Das Prinzip ist das Gleiche

Ohnehin basieren auch die Alternativen auf dem gleichen Prinzip wie eine Versicherung: Risiko und Preis bedingen sich. „Wenn wir keine Fortschritte bei der Klimafolgenanpassung machen, wenn wir sehenden Auges auf immer höhere Schäden zusteuern, werden sich auch Investoren überlegen, ob sie die Risiken tragen wollen“, so Käfer-Rohrbach. Angesichts der Zunahme der globalen Klimaschäden sei es kaum überraschend, dass das Angebot an Katastrophenbonds stagniere. 

„Prävention funktioniert nur gemeinsam.“
Anja Käfer-Rohrbach, Stellv. GDV-Hauptgeschäftsführerin

Wirksamstes Mittel, um einen bezahlbaren Versicherungsschutz im großen Umfang aufrecht erhalten zu können, seien Vorbeugung und Prävention: „Das gilt im Großen wie im Kleinen, bei der Transformation der gesamten Wirtschaft ebenso wie beim Bau einer neuen Fabrikanlage“, betont Käfer-Rohrbach. Industrieunternehmen und Versicherer seien letztlich Partner: „Prävention funktioniert nur gemeinsam.“ Risikobewertung und Schadenregulierung würden jedoch komplexer, so die GDV-Geschäftsführerin: „Auch der Versicherungssektor muss hier in Zukunft noch mehr das nötige Know-how auf- beziehungsweise ausbauen.“

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