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Dossier Biodiversität

Dossier: Biodiversität

Der Verlust von biologischer Vielfalt (Artenvielfalt, Ökosysteme, genetische Vielfalt) gefährdet die Lebens- und Erwerbsgrundlagen der Menschheit. Gründe für die abnehmende Biodiversität sind ein sich veränderndes Klima aber auch sich wandelnde Ansprüche an die Umwelt. So ist rund die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung von natürlichen Ressourcen und Leistungen abhängig. Stabile Ökosysteme schützen die Menschen vor den negativen Auswirkungen sich verändernder Umweltbedingungen. Der Schutz von Biodiversität und natürlicher Vielfalt gehört daher zu einem vorausschauenden Risikomanagement von Versicherungen.

06.02.2024
Wissenschaftliche Perspektive

Klimawandel und nicht-nachhaltiger Ressourcenverbrauch bedrohen Biodiversität, Artenvielfalt und wichtige Ökosysteme Link kopieren

Ob wir in der Stadt oder auf dem Land leben - für viele gibt es einen bestimmten Ort in der Natur, den sie seit ihrer Kindheit kennen, eine Landschaft, die besonders vertraut ist. Überall in der Welt gibt es Naturdenkmäler oder Tiere, die einen hohen kulturellen Wert haben, sogar heilig sind. Zum Entspannen zieht es uns in den Wald, ans Meer oder in die Berge. Frische Luft, Trinkwasser, Nahrung, medizinische Wirkstoffe und Rohstoffe für die Produktion – all das stammt aus der Natur.

Voraussetzung für ein Leben von, mit und in der Natur sind ein intaktes Klima und eine geschützte Umwelt. Klimawandel und die Verstädterung der Naturlandschaften bedrohen Diversität und Artenschutz. Weltweit ist der Verlust an natürlicher Vielfalt dramatisch. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental science-policy platform for biodiversity and ecosystem services) zog 2019 eine verheerende Bilanz:

  • Bis zu eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht, viele davon bereits in den nächsten Jahrzehnten.
  • Das Artensterben ist heute mindestens zehn- bis einhundertmal höher als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre.
  • Die Hälfte der lebenden Korallen ist seit 1870 verschwunden.
  • Die weltweite Waldfläche beträgt nur 68 % im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter.
  • 75 % der Landoberfläche und 66 % der Meeresfläche sind durch menschlichen Einfluss verändert.
  • Über 85 % der Feuchtgebiete sind in den letzten 300 Jahren verloren gegangen.
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Point of View mit Klement Tockner

Neben der Klimakrise haben wir mit einer weiteren großen Naturkrise zu kämpfen: dem Verlust der Biodiversität. In dieser Ausgabe des Point of View spricht GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen zum Thema Biodiversität mit Klement Tockner (Generaldirektor Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung). Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist eine der wichtigsten Forschungseinrichtungen rund um die biologische Vielfalt. Als einer der führenden Köpfe auf dem Gebiet der Gewässerökologie und des nachhaltigen Managements bringt Klement Tockner eine interdisziplinäre Perspektive ein, die Natur- und Sozialwissenschaften verbindet.

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Erst nach und nach wächst das Bewusstsein dafür, dass die Bekämpfung des Klimawandels sowie Naturschutz und die Bewahrung von Ökosystemen Hand in Hand gehen und in höchstem Maße voneinander abhängig sind. Der Schutz von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen ist elementar für die nachhaltige Transformation und zahlt auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ein. Wie abhängig die Produktion von Ökosystemdienstleistungen ist, hat das World Monitoring Center for Conservation der Vereinten Nationen (UNEP-WCMC) für mehr als 500 Wirtschaftssektoren gezeigt. Mehr als 50 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung sind mittel bis stark abhängig von funktionierenden Ökosystemdienstleistungen. Je nach Land kann diese Abhängigkeit auch noch höher ausfallen.

Ein Forschungsteam der Universität Amsterdam hat abgeschätzt, dass 64 Millionen Quadratkilometer Land unter Schutz gestellt werden müssten, um den dramatischen Rückgang von Biodiversität und Artenvielfalt zu stoppen. Die Fläche entspricht 44 Prozent des weltweit verfügbaren Lands. Dazu kommt der dringend notwendige Schutz der Artenvielfalt in den Weltmeeren.

Auf Ebene der Vereinten Nationen arbeiten die Staaten daher an einem Post-2020 Biodiversity Framework zur Weiterentwicklung von Zielen der Convention on Biological Diversity (CBD). Die CBD ist das wichtigste multilaterale Vertragswerk für den Schutz von Artenvielfalt auf der Erde. Ziel ist es, bis 2050 den Rückgang an Biodiversität zu bremsen oder sogar umzukehren.

Politische Perspektive

Schutz von Biodiversität und Vielfalt – weltweit und national ein wichtiges Thema Link kopieren

Im Dezember 2022 wurde in Montreal das Global Biodiversity Framework (GBF) beschlossen. Erstmalig ist es gelungen, sich nicht nur auf ambitionierte Ziele zu einigen, sondern auch auf Mechanismen für eine wirksame Zielerreichung, Kontrolle und eine angemessene Finanzierung. 30 % der weltweiten Land- und Meeresflächen wollen die über 190 Unterzeichnerstaaten bis 2030 unter Schutz zu stellen. Zusätzlich sollen 30 % der bereits geschädigten Flächen wiederhergestellt werden. Die Unterzeichner des GBF verpflichten sich zu höheren Investitionen in den Artenschutz und einer Halbierung der Risiken aus Pestiziden und Düngemitteln. Dafür sollen auch verstärkt private Investitionen zum Einsatz kommen (Target 19). Bis 2020 basierte die globale Zusammenarbeit für Biodiversität auf der UN-Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity), die 1992 auf dem „Erdgipfel“ in Rio de Janeiro von 192 Mitgliedsstaaten beschlossen und unterzeichnet wurde. Weitere internationale Abkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt sind die Ramsar-Konvention und das Washingtoner Artenschutzabkommen (CITES). In der UN-Biodiversitätskonvention haben sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Die drei Hauptziele sind: Der Schutz der Biodiversität, ihre nachhaltige Nutzung und der gerechte Ausgleich der sich aus der Nutzung (genetischer) Ressourcen ergebenden Vorteile.

2012 wurde der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystems Services) mit Sitz in Bonn gegründet, um den über 190Mitgliedstaaten bei politischen Entscheidungsprozessen wissenschaftlich legitimierte und glaubwürdige Informationen über die Erhaltung und Nutzung von Biodiversität und Ökosystemen zu liefern.

Die Europäische Kommission hat 2020 als Teil des Green Deals eine neue Biodiversitätsstrategie 2030 beschlossen, nachdem der erste Aktionszeitraum von 2011 bis 2020 ausgelaufen war. Biodiversität ist auch ein Ziel der EU-Taxonomie, mit der festgelegt wird, welche unternehmerischen Aktivitäten nachhaltig sind und welche nicht. Anfang April 2023 hat die EU-Kommission technische Screening Kriterien für das Umwelt-Ziel Biodiversität vorgeschlagen, die ab Januar 2024 angewendet werden sollen.

Für die seit 2021 regierende Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist der Erhalt von Artenvielfalt zusammen mit dem Schutz von Klima und Umwelt eine Menschheitsaufgabe und ethische Verpflichtung. Die bereits 2007 beschossene Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS 2007) wird derzeit an die neuen Zielvorgaben von Montreal und die EU-Biodiversitätsstrategie 2030 angepasst. Viele der für das Jahr 2020 gesetzten Qualitäts- und Handlungsziele der NBS 2007 wurden nicht oder nur unzureichend erreicht. Derzeit erarbeitet das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) eine Neuauflage der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt 2030 (NBS 2030).

Branchen-Perspektive

Warum der Erhalt von Biodiversität und Artenvielfalt für die Versicherer so wichtig ist Link kopieren

Was der Verlust an Biodiversität für die Menschen, die Wirtschaft und damit auch für Versicherer bedeutet, wird erst allmählich klar. Doch angesichts des rasanten Artensterbens abzuwarten, ist keine Lösung. Das Aussterben von Tierarten und ihr Verlust für ein Ökosystem, die Umnutzung natürlicher Lebensräume durch Menschen können nicht rückgängig gemacht werden. Derzeit entstehen erste Analysen, welchen (neuen) Risiken Versicherer dadurch ausgesetzt sind.

Klar ist bereits, dass der Erhalt von naturbelassenen Ökosystemen ein wichtiger Beitrag zu natürlichem Risikoschutz ist. Eine leistungsfähige blaue und grüne Infrastruktur spielt eine große Rolle, um Erdrutsche zu verhindern, den Folgen von Sturmfluten oder Überschwemmungen vorzubeugen, Schäden durch Dürren und Waldbrände einzudämmen. Wo es Wälder und Bäume gibt, sind Atemwegserkrankungen weniger verbreitet. Biodiversitätsschutz ist also für verantwortungsvoll handelnde Unternehmen nicht nur eine ethische Aufgabe, sondern eine Investition in die Zukunft. Versicherer suchen deshalb nach Wegen, wie sie „nature-based solutions“ unterstützen können.

Versicherer bieten bereits Lösungen zum Schutz der Umwelt an, etwa als Baustein im Rahmen einer Betriebshaftlichtversicherung. Umweltschäden, die durch betriebliche Tätigkeit entstanden sind, werden dann umgehend fachgerecht behoben. Mit besonderen parametrischen Versicherungen kann heutzutage sogar die Wiederherstellung von Korallenriffen nach Orkanen versichert werden. Viele Versicherer engagieren sich in Projekten für Artenvielfalt und gesunde Ökosysteme, sei es mit Streuobstwiesen, Bienenstöcken oder Wiederaufforstung von sturmgeschädigten Wäldern.

Darüber hinaus arbeitet die Branche über den GDV am Runden Tisch Meeresmüll mit. Ziel dieses Netzwerkes ist die Verminderung von Müll in den Meeren, ein wichtiger Beitrag zum Schutz der sensiblen maritimen Ökosysteme. Im Rahmen der Principles of Sustainable Insurance (PSI), die der GDV als supporting insitution unterzeichnet hat, wurde ein Praxisguide zum Schutz des UN Weltkulturerbes  (PDF) erarbeitet.

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