Mehr Kapital für die nachhaltige Transformation der Wirtschaft mobilisieren
Sustainable Finance steht seit 2018 an der Spitze der europäischen Agenda. Nun ist der Aktionsplan für nachhaltige Finanzen größtenteils in Kraft getreten, sodass sich das Augenmerk erwartungsvoll auf die Versicherungsbranche und weitere institutionelle Anleger richtet. Im Rahmen eines #GDVlive wurde mit hochkarätigen Gästen aus Politik, Zivilgesellschaft und der Versicherungsbranche das Thema Sustainable Investments diskutiert.
Die Europäische Union möchte bis 2050 als erster Kontinent überhaupt klimaneutral werden. Allein in diesem Jahrzehnt sind dafür mindestens 1 Billion Euro an Investments in die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft erforderlich - eine Summe, die der öffentliche Sektor allein nicht stemmen kann. Im Rahmen des “EU Green Deals” hat die EU-Kommission seit 2018 mehrere Legislativvorschläge im Bereich “Sustainable Finance” auf den Weg gebracht, die grüne Investments aus der Privatwirtschaft ankurbeln sollen. Die Versicherungsbranche gehört zu den entschiedensten Unterstützern eines nachhaltigen Finanzsektors in Europa.
Auf Einladung des GDV-Europabüros warfen Rasmus Andresen, EU-Parlamentsmitglied für Die Grünen / EFA, Julia Symon, Leiterin Research & Advocacy bei FinanceWatch, und Götz Treber, Leiter des Kompetenzzentrums Unternehmenssteuerung und Regulierung beim GDV, Anfang März ein „Spotlight on Sustainable Investments“ .
Diskutiert wurden u. a. Nachhaltigkeitsaspekte der Solvency II - Richtlinie, der europäische Green Bond Standard, Berichtspflichten zu ESG-Daten sowie die Bedeutung von Public-Private Partnerships (PPP). Es ging darum zu verstehen, wo Versicherer als nachhaltige Investoren aktuell stehen. Welche Instrumente können sie nutzen, um noch mehr privates Kapital für grüne Anlagen zu aktivieren? Welche Möglichkeiten bietet der geltende Rechtsrahmen und welche Schwächen hat er möglicherweise noch?
Ambitionierte Roadmap zur Klimaneutralität
Alle Teilnehmer haben die Bedeutung der Versicherungsbranche zur Steigerung grüner Investments betont. Mit seiner aktuellen Nachhaltigkeitspositionierung verfügt der GDV über eine ambitionierte Roadmap für alle Geschäftsbereiche. So sollen im Einklang mit den EU-Zielen die Kapitalanlagen der Versicherer bis 2050 vollständig klimaneutral werden. Außerdem unterstützt der Verband die Net-Zero Asset Owner Alliance (AOA) und die Principles for Responsible Investment (PRI) der Vereinten Nationen.
Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Solvency II-Regelwerk
Aktuell arbeitet das Europäische Parlament an einer Überarbeitung der Solvency II – Richtlinie. Dabei geht es unter anderem um die Frage, wie Nachhaltigkeitsrisiken integriert werden können. Dazu hat die Versicherungsbranche eine klare Haltung: Klimarisiken sind nach Auffassung des GDV in Säule zwei des Regulariums bereits fest verankert und werden im Rahmen des „Own Risk and Solvency Assessments“ (ORSA) auch zunehmend intensiv analysiert. Dabei können sowohl physische Risiken als auch Transitionsrisiken identifiziert werden. Unternehmen können damit sensible Teilbereiche ihres Geschäftsmodells bzw. ihrer Kapitalanlage identifizieren. Die Versicherer betonten im Dialog, dass regulatorische Änderungen immer risikobasiert sein sollten.
Der Idee, Solvency II um einen sogenannten „Green Supporting Factor“ (Eigenkapitalentlastungen für Banken bei Vergabe grüner Kredite) bzw. „Brown Penalizing Factor“ (höhere Eigenkapitalvorschriften bei nicht-grünen Investments) zu erweitern, stehen Versicherer daher skeptisch gegenüber. Dies gilt auch für den Vorschlag von FinanceWatch, wirtschaftliche Aktivitäten in Verbindung mit fossilen Brennstoffen mit dem höchsten Risikofaktor der jeweiligen Anlageklasse zu belegen.
Europäischer Green Bond Standard kann Goldstandard für nachhaltige Anleger werden
“Wir müssen unsere Bemühungen um grüne Investments aus öffentlicher und privater Hand massiv verstärken”, forderte Andresen mit Blick auf die Herausforderungen des “European Green Deal“. Ein Problem dabei bestehe jedoch darin, dass das Angebot an grünen Investitionsmöglichkeiten derzeit noch zu beschränkt sei, gab Symon zu bedenken.
Der Ende Februar 2023 zwischen EU-Parlament und Rat erzielte Kompromiss zum Green Bond Standard (GBS) ist ein Meilenstein auf diesem Weg. Wichtig ist dabei, dass die Vorgaben ein investorenfreundliches Klima in Europa schaffen. Regulatorisch überladene und unflexible Standards würden grünes Kapital aus privater Hand eher abschrecken als anziehen. Deshalb sind dem GDV die Freiwilligkeit der Offenlegungen sowie ein Bestandsschutz für bestehende grüne Anlagen (Grandfathering) besonders wichtig. Auch über den eingeführten Flexibilitätsrahmen für Emittenten freut sich der Verband, wohingegen Andresen und Symon hier vor möglichen Transparenzverlusten des Standards warnten. Dieser könnte sich indirekt auch auf Emittenten selbst negativ auswirken.
Eine aktuelle Studie des GDV zeigt zudem, dass sich das „Greenium“, die Renditedifferenz zwischen Green Bond und konventioneller Investition, mit fortschreitender Reife des noch sehr jungen Marktes für grüne Anleihen auf praktisch Null reduzieren wird. Das Branchenziel, bis 2050 ausschließlich klimaneutrale Kapitalanlagen zu betreiben, ist damit auf realistische Marktannahmen basiert.