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Regulierung

Versicherer fordern zweijährige Regulierungs-Pause

Die Versicherer leiden wie viele andere Branchen unter steigenden Berichtspflichten. Auf der GDV-Regulierungskonferenz machen sich Branchenvertreter für ein Moratorium stark. Die Politik äußert Verständnis.

Karsten Röbisch (© Christian Kruppa / GDV)
Karsten Röbisch
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© Christian Kruppa / GDV

Überbordende Berichtspflichten würden die Unternehmen von Innovationen ablenken, mittelbar die Produkte verteuern, neuen Anbieter den Markteintritt erschweren und letztlich das Wachstum bremsen, sagte Norbert Rollinger, Präsident des GDV. 

Die Versicherer fordern einen zeitweisen Verzicht auf neue regulatorische Vorgaben. „Wir wünschen uns ein zweijähriges Belastungsmoratorium“, sagte Norbert Rollinger, Präsident des GDV, am Donnerstag auf der Regulierungskonferenz des Verbandes in Berlin. Politik und Regulierer sollten die Zeit nutzen, um die Auswirkungen der bestehenden Vorschriften zu überprüfen, deren Umfang in jüngster Zeit deutlich zugenommen habe. 

„Allein im Bereich der Finanz- und Vertriebsregulierung haben die europäischen Gesetzgeber in der abgelaufenen Legislaturperiode über 77 Rechtsakte auf den Weg gebracht, die rund 10.000 Seiten Text umfassen“, nannte Rollinger als Beispiel. So wichtig Regulierung für fairen Wettbewerb und den Verbraucherschutz sei, so zeigten sich zunehmend negative Effekte. Überbordende Berichtspflichten würden die Unternehmen von Innovationen ablenken, mittelbar die Produkte verteuern, neuen Anbieter den Markteintritt erschweren und letztlich das Wachstum bremsen, so Rollinger. 

„Die Überforderung ist deutlich“

Auch Monika Köstlin, Chefin der Kieler Rück, kritisierte das Ausmaß der Regulierung. Vor allem für kleinere Versicherer mit ihren begrenzten Ressourcen seien die regulatorischen Anforderungen inzwischen kaum noch zu leisten. „Die Überforderung ist deutlich.“ So habe auch ihr Unternehmen strategische Projekte zurückstellen müssen, um die Regulatorik erfüllen zu können, sagte Köstlin.

Ein hoher regulatorischer Aufwand ist nicht nur ein Problem für die Unternehmen. Das daraus resultierende schwache Wachstum habe auch gesellschaftliche Sprengkraft, betonte Christoph Jurecka, Chief Financial Officer der Munich Re. Wenn das Aufstiegsversprechen nicht mehr gelte, würden Frust und Verteilungskämpfe zunehmen. „Wachstumsschwäche ist Wasser auf die Mühlen der Populisten“, so Jurecka. Der Munich-Re-Vorstand forderte eine Trendwende – nicht nur beim Abbau bürokratischer Hemmnisse, sondern zugleich bei der Stärkung privater Investitionen in Europa. „Wir brauchen eine Harmonisierung des Insolvenzrechts, einen einheitlichen Investorenschutz und eine gemeinsame Anlageklasse für Infrastrukturinvestments in Europa“, so Jurecka. 

EU-Kommission will Wachstumshemmnisse abbauen

In der Politik scheinen die Rufe inzwischen erhört. „Wir brauchen ein Programm zur Stärkung der langfristigen Innovationsfähigkeit in Europa“, sagte Alexandra Jour-Schröder, Generaldirektorin der EU-Kommission. Dies gehe nur mit privatem Kapital. Dazu will die EU die Kapitalmarktunion vertiefen. Dies wird laut Jour-Schröder auch Maßnahmen beinhalten, die den Verwaltungsaufwand für Unternehmen verringern. „Gleichzeitig wollen wir grenzüberschreitende Investitionen erleichtern und den Verbriefungsmarkt wieder ankurbeln“, kündigte sie an. Auch die Verbraucher sollen sich über ein neues europäisches Altersvorsorgeprodukt stärker am Kapitalmarkt beteiligen können. 

Deutschland unterstützt die EU-Pläne. „Die Bundesregierung setzt sich konsequent für die Stärkung der europäischen Kapitalmärkte ein“, kündigte Heiko Thoms, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium an. Das Gewicht in der europäischen Politik werde sich in der kommenden Legislaturperiode verschieben und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit stärker im Fokus stehen. „Wettbewerbsfähigkeit ist ein Code für mehr Wachstum, mehr Produktivitätswachstum und Innovationen“, so Thoms. Neben der Vertiefung der Kapitalmarktunion werde sich die Bundesregierung für eine effizientere Finanzaufsicht einsetzen: „Dabei muss man allerdings mit Augenmaß vorgehen“, so Thoms.

Regulierung muss wirksam sein – aber auch handhabbar

Denn bei allen Forderungen nach weniger Bürokratie: „Regulierung muss wirksam sein“, betonte Jörg Kraus, Leiter der Abteilung internationale Gruppen bei der Finanzaufsicht BaFin. Verbraucherschutz und Finanzmarktstabilität seien zentrale Ziele der Aufsicht, und um diese zu erreichen, „müsse Regulierung an der richtigen Stelle auch streng sein“. Zugleich müsse Regulierung aber auch handhabbar sein, wie Kraus einräumte: „Wir müssen die Regelwerke systematisch vereinfachen und den Aufwand senken.“ Der Spielraum der nationalen Aufseher ist allerdings begrenzt, denn viele Vorgaben kommen aus Brüssel: „Soweit es uns betrifft, setzen wir uns für eine Vereinfachung der Offenlegungsvorschriften ein“, kündigte Kraus an.

Gerade die Berichte zur Solvabilität und Finanzlage sind für die Versicherer ein Beispiel dafür, wo Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis stehen. Sehr komplex, sehr technisch und aufwändig zu erstellen – werden sie kaum gelesen, wie Dragica Mischler, Chefin des Rechtsschutzversicherers ÖRAG, hervorhob. Mit den Nachhaltigkeitsberichten kämen auf die Unternehmen weitere Dokumentationspflichten zu. „Wenn wir uns nur noch um Berichterstattung kümmern, dann kümmern wir uns weniger um andere Themen“, sagte Mischler. „Es geht nicht darum, dass wir keine Regulierung brauchen. Es geht uns um eine effiziente Regulierung.“ 

„Bürokratieabbau kostet Geld“

Weniger Bürokratie bedeute aber nicht nur, Regelwerke zu entschlacken, betonte Jens Südekum, Professor für International Economics an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Es gehe auch um eine effektivere Verwaltung – mit den Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet. Und dafür braucht es Investitionen. „Bürokratieabbau kostet Geld“, sagte Südekum. Dies gehöre zu einer ehrlichen Diskussion dazu.

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