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Künstliche Intelligenz

Lobo: „Europa gefährdet seine wirtschaftliche Zukunft“

Künstliche Intelligenz wird die Wirtschaft so umwälzen wie einst die Dampfmaschine, sagt Digitalexperte Sascha Lobo. Deutschland und Europa sollten ihr nicht zu enge regulatorische Fesseln anlegen. Sonst drohen Job- und Wohlstandsverluste.

Karsten Röbisch (© Christian Kruppa / GDV)
Karsten Röbisch
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© GDV / Christian Kruppa

Sascha Lobo ist Journalist, Autor und Unternehmer. Er befasst sich vor allem mit dem Thema Digitalisierung und ihrer Auswirkung auf Gesellschaft und Wirtschaft. 

Herr Lobo, gibt es eine KI-Anwendung, die Sie regelmäßig nutzen?
Sascha Lobo:
Tatsächlich benutze ich ChatGPT inzwischen fast jeden Tag. Das ist nicht besonders originell. Aber ganz viele Fragen, die sich so aus meinem beruflichen Kontext ergeben, kann ich mit ChatGPT leicht klären. Ähnlich häufig benutze ich Perplexity. Es ist eine Art Google der nächsten Generation, jedenfalls für manche Anwendungen. 

Sie haben die künstliche Intelligenz (KI) als eine der wirkungsmächtigsten Technologien in der Menschheitsgeschichte bezeichnet. Umreißen Sie mal das Potenzial.
Lobo: Wenn man die Geschichte sieht, dann war die Erfindung der Dampfmaschine ein wesentlicher Sprung nach vorn. Sie hat die Welt komplett verändert, weil sie nicht nur stärker war als der Mensch. Zusammen mit ein paar anderen Erfindungen konnten mit ihr auch Dinge automatisiert werden, die bis dahin nur per Handarbeit möglich waren. Genau das Gleiche funktioniert jetzt mit KI – nur mit geistiger Arbeit. Und wenn wir uns anschauen, dass schon die Automatisierbarkeit von physischer Arbeit die Welt komplett verändert hat, dann glaube ich, ist die Wirkmacht von der Automatisierbarkeit und Skalierbarkeit geistiger Arbeit nicht groß genug einzuschätzen.

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?
Lobo: Es gibt zum Beispiel auch innerhalb der Versicherungswirtschaft etliche textliche Anwendungen, die früher von einer Vielzahl von Menschen mühsam verfasst werden musste. Und dann gab es nochmal so viele, die das Bedruckte geprüft und an alle möglichen Leute verteilt haben. Das geht mit der KI inzwischen in extrem hoher Geschwindigkeit und mit hoher Präzision, weil die Maschine nicht nur Text versteht, sondern auch die Zielrichtung. Auch beim Underwriting ist die Automatisierung bereits relevant. 

„Wir können viele gute Arbeitsplätze erhalten, wenn wir in Deutschland die große KI-Transformation bewältigen.“

Ist die KI eine Bedrohung für die Arbeitsplätze? 
Lobo: Die Angst, dass uns künstliche Intelligenz die Arbeitsplätze rauben wird, ist eher unbegründet. KI kann bestimmte Arbeitsprozesse effizienter und schneller machen, produktiver ohnehin. Sie ist aber bislang noch kein Ersatz für eine menschliche Arbeitskraft. Ihr fehlt die Fähigkeit, eine Aufgabe intellektuell zu bewältigen, diese dann noch in eine andere zu überführen und so ganze Arbeitsprozesse aneinanderzureihen. Im Moment glaube ich nicht, dass Arbeitsplätze ganz konkret bedroht sind. Aber mittelfristig kann es durchaus sein, dass wir in bestimmten Bereichen weniger Menschen brauchen. Andererseits ist da der Fachkräftemangel, den wir mit KI sehr gut in den Griff bekommen können.

Gleichen sich die Effekte aus? Oder gehen mit KI mehr Arbeitsplätze verloren als die, die wir durch den demografischen Wandel ohnehin nicht mehr besetzt kriegen?
Lobo:
Die Antwort auf die Frage hängt auch – und eigentlich sogar mit am stärksten – von der Regulierung ab. Wir können viele gute Arbeitsplätze erhalten, wenn wir in Deutschland die große KI-Transformation bewältigen, wie ich den Wandel bezeichne. Wenn wir aber KI so in Grund und Boden regulieren und überbürokratisieren wie mit dem AI Act, dann bekommen wir ein Problem. Dann werden Unternehmen in Europa und Deutschland weniger Innovationen im KI-Bereich hinbekommen. Das heißt nicht, dass die Anwendungen hier nicht genutzt werden. Die Wertschöpfung findet dann bloß in China, in den USA oder irgendwo anders statt. Und das sind auch die Orte, wo der Wohlstand geschaffen wird. Deutschland muss aufpassen, nicht wie schon bei der Digitalisierung den Anschluss zu verpassen. Die Bedrohung durch KI ist viel größer, wenn wir nicht selbst den Wandel mitgestalten. 

Was genau stört Sie am AI Act, mit dem die EU die Nutzung von künstlicher Intelligenz regelt?
Lobo: Mein Hauptkritikpunkt ist, dass die KI im Gesetz von Anfang an als Risiko betrachtet wird. Man hätte das wie in anderen Ländern auch als Risiko- und Chancenabwägung begreifen können. Steht irgendwo etwas davon im AI Act, dass wir Bildung brauchen für KI – und zwar bis in die Schulen hinein, wie das in China der Fall ist? Nein! Steht da irgendetwas drin von der Art und Weise, wie Europa es vorhat, mit China und vor allem den Vereinigten Staaten konkurrieren zu können? Nein, das steht da auch nicht drin. Denn man hat nur die Risiken gesehen. Und ich fürchte, das wird uns irgendwann auf die Füße fallen. 

Nun lassen sich die Gefahren durch die KI für die Grundrechte und die Demokratie nicht von der Hand weisen. Ist eine strenge Regulierung deshalb nicht auch gerechtfertigt?
Lobo:
Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass wir das nicht regulieren sollten, im Gegenteil. Es gibt ein sehr großes Aber. Und das Aber bezieht sich vor allem auf den Track Record der EU-Regulierung. Wenn ich mir anschaue, welchen Schaden die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gerade in Deutschland angerichtet hat, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch bürokratisch. Oder nehmen wir das noch größere katastrophale Beispiel: die Cookie-Richtlinie der EU. Diese komischen Fenster mit den endlosen Textwüsten, die niemanden interessieren. Es ist eine komplette Totgeburt. Und es sind dieselben Leute, die jetzt mit dem AI Act um die Ecke kommen. Ich glaube, man sollte sich erst mal darauf besinnen, wie KI sinnvoll funktioniert. Und sich dann überlegen, wie wir in Europa wirtschaftlich auf Augenhöhe kommen mit den Vereinigten Staaten und China. Und dann muss natürlich auch die Gefahrenseite reguliert werden. Ich bin der Letzte, der sich dagegen wehrt. Ich glaube bloß, dass das überbetont ist und auch falsch gemacht worden ist.

Verspielt Europa mit dem AI Act seine ökonomische Zukunft?
Lobo: Europa gefährdet seine wirtschaftliche Zukunft. Verspielt, würde ich noch nicht sagen. Denn ehrlicherweise haben wir ja auch bei der DSGVO gesehen, wie unterschiedlich die EU-Länder die Gesetzgebung am Ende auslegen. In Estland sind mit der gleichen DSGVO hunderte Sachen möglich, die in Deutschland als Teufelszeug gelten. Wenn sich bei der Umsetzung des AI Acts in Deutschland ein ähnlicher Verhinderungsgeist breitmacht, dann wäre das katastrophal. 

„Wir brauchen eine Kultur des Ausprobierens.“

Was müssen ihrerseits die Unternehmen tun, damit KI zu einem Erfolg wird? Vielleicht gar nicht so sehr im finanziellen Sinne, sondern mit Blick auf die Unternehmenskultur?
Lobo:
Ohne Investitionen geht es nicht. Wir brauchen viele Investitionen. Die müssen allerdings anders eingesetzt werden, als das in der Vergangenheit der Fall war. Wir brauchen eine Kultur des Ausprobierens. Und das ist leider keine deutsche Spezialität. Ausprobieren heißt, einzelne Projekte so aufzusetzen, dass ich genau sehen kann, welche Arbeitsprozesse, welche Produkte, welche Teile des Geschäftsmodells durch KI verbessert, beschleunigt oder ganz auf den Kopf gestellt werden können. Das können sogar Fachleute nur schwer vorhersagen. Allerdings muss man das irgendwann rausfinden. Denn in fast jeder Branche gibt es zwei, drei Hebel, die über Nacht mindestens das Preisgefüge, vielleicht sogar das ganze Produktgefüge komplett verändern. 

Ist es gerade für große, etablierte Unternehmen nicht schlauer abzuwarten und zu beobachten, wo sich eine erfolgreiche Anwendung herauskristallisiert, anstatt viele Versuche zu starten und damit zu scheitern?
Lobo: Gerade im Bereich KI schließt es sich nicht aus, einerseits intensiv zu beobachten und andererseits auf Basis eigener Erkenntnisse auszuprobieren. Was Innovation angeht, hat gerade die Finanzwirtschaft in der Vergangenheit gute Erfahrungen damit gemacht hat, erstmal zu beobachten und dann zu reagieren. Bei KI ist es deswegen schwieriger, weil die Geschwindigkeit des Wandels enorm ist. Es kann also sein, dass man den Anschluss verliert, wenn man erst reagiert, wenn Konkurrenten schon herausgefunden haben, wie das funktioniert. 

Hat Deutschland mit seiner starken Industrie und den vielen Prozessdaten am Ende gar einen Vorteil, wenn es darum geht, die Erkenntnisse durch KI in neue Produktionsverfahren oder neue Produkte umzumünzen?
Lobo: Deutschland hat Chancen. Und die liegen definitiv auch in der Produktion, in der Fertigung, gerade was den Maschinenbau angeht. Es ist aber gleichzeitig eine Art Hindernis. Denn die Art und Weise, wie künstliche Intelligenz in diesem Bereich, zum Beispiel der Robotik, genau wirkt, die schält sich erst langsam heraus. Es gibt eine ganze Reihe von sehr sachkundigen Leuten, die darauf setzen, dass zum Beispiel humanoide Roboter das Automobil der Zukunft werden. Sie rechnen damit, dass in Zukunft weltweit Milliarden davon verkauft werden, für die Industrieproduktion oder als Haushaltsroboter. Es ist gar nicht die Frage, wann, wie oder ob das kommt. Es geht nur um die Frage, wie wir bei diesen Verschiebungen in Deutschland und Europa mitmachen. Dass sich was verändert, ist absolut sicher.

Blicken wir zum Abschluss noch auf die Veränderungen in ihrem Job: Wird ihre Kolumne eines Tages von der KI geschrieben?
Lobo: Es gab schon eine Kolumne, die zu einem guten Teil von ChatGPT geschrieben worden ist. Das ist allerdings bei meinem Hausblatt, dem „Spiegel“, verboten. Deswegen habe ich sie natürlich nicht veröffentlicht. Bei allen Stärken der KI habe ich auch einen Vorteil, der aus meiner Sicht über die nächsten Jahrzehnte von der Maschine kaum aufzuholen sein wird. Künstliche Intelligenz hat gerade, was Frisuren angeht, ein erhebliches Manko. Ich sehe nicht, wie die jemals einen vernünftigen Irokesenschnitt auf die Beine stellen sollen. Insofern ist mein Job sicher.